Mediapro lässt sich VAR in Europa als Marke eintragen – während sich der Videoschiedsrichter weltweit etabliert

In der Bundesliga hielt das Konzept des VAR (Video Assistant Referee) bereits in der vergangenen Saison Einzug. Ganz groß rausgekommen ist es aber jüngst bei der Weltmeisterschaft in Russland; wo es im Großen und Ganzen durchaus zu überzeugen wusste. Fans und Spieler sollten sich nun weltweit darauf einstellen, dass der VAR dem Offiziellen auf dem Platz berechtigte Revisionen seiner ersten Entscheidungen immer öfter zumindest ermöglicht. Ob sie es gut finden oder nicht. Während das relativ neue und innovative Konzept noch in aller Munde ist, hat das spanische Multimediaunternehmen Mediapro, das in Europa TV-Rechte für den Fußball besitzt, sich bei der EU den Namen ,VAR‘ als Marke eintragen lassen.

Mediapro wird zunächst in Spanien, Portugal und Mexiko das technologische System des VAR bereitstellen, und sich hierdurch wie durch die Aneignung der Marke womöglich einen starken Status als Provider der Technologie in Europa erarbeiten. Dabei dürfte dann wiederum ein chinesisches Unternehmen profitieren. Denn Konzerne aus China und den USA haben das mediale und damit Marketing-Potential des europäischen Fußballs erkannt.

VAR als Marke für Mediapro

Gerade haben die Männer im Videokontrollraum bei der WM in Russland gehörig für Aufsehen gesorgt. Dabei entscheiden die Protagonisten des Konzepts VAR nicht. Das betont die FIFA auch auf der eigenen Website. Der Schiedsrichter bleibt die letzte Instanz – womit er sich, mehr noch als die Videoassistenten, weiterhin der Kritik aussetzt. Bei der FIFA heißt es entsprechend:

„The VAR just recommends an on-field review. Only the referee has to take the final decision. This is the difference between interpretation, subjective decisions and factual decisions. For all interpretations, we want the referee at the centre of the decision-making.“

Obwohl das Konzept sicherlich noch nicht vollends ausgereift ist, hat es spätestens bei der WM einige Fürsprecher gewinnen können, nachdem es im Einsatz in der abgelaufenen Bundesligasaison zunächst vermehrt für negatives Aufsehen gesorgt hatte. Mit der globalen und medialen Präsenz, die dem VAR nun zuteil wurde, mag sich dieses zukunftsgewandte technologische System weiter im Weltfußball verankern.

In Europa, aber nicht nur dort, wird es ab der kommenden Saison in mehr Ligen eingesetzt werden. Dabei hat das Multimediaunternehmen Mediapro aus Spanien sich in einem cleveren Marketing-Schachzug den Namen VAR als Markennamen eintragen lassen. Das berichten übereinstimmend SportsPro, Advanced Television und vor allem La Información.

Demnach darf Mediapro den Terminus Video Assistant Referee (VAR) nach der Genehmigung durch das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum für zehn Jahre beim Branding verwenden. Zwei Logos sollen eingeführt werden, bei einem wird das Mediapro-Logo integriert sein, bei einem weiteren nur der Name VAR.

Das neue VAR-Logo von Mediapro, Quelle: La Información, © Mediapro

Zwar finden sich in Europa einige Unternehmen, die VAR in der Namensgebung aufweisen, doch diese haben nichts mit Fußball und Videoanalysesystemen für die Schiedsrichter zu tun. Da Mediapro bei der Registrierung des Akronyms keine Konkurrenz hatte, war die Bestätigung des EU-Amts am Ende wenig problematisch. Nun wird das Unternehmen die Technologie für die Videoschiedsrichterkonzeption sowohl in der spanischen La Liga als auch in der portugiesischen Primeira Liga und der mexikanischen Liga MX bereitstellen. In La Liga liefert Mediapro die Technologie, während der Verband die Kosten trägt. In Portugal kommen nach den Medienberichten gut eine Million Euro Kosten auf das Unternehmen zu, die für die Infrastruktur und die entsprechende Ausrüstung berechnet werden. Doch diese Investition dürfte sich lohnen.

Mit dem Recht am Namen VAR sichert sich Mediapro die Möglichkeiten, die Video Assistant Referee-Option in verschiedenen Ligen einzusetzen und darüber hinaus unter dem Markennamen auch Videos oder Content digital bereitzustellen. Vor allem aber stellt sich das Multimediaunternehmen, das Übertragungsrechte an diversen Ligen hält, in die Pole Position, wenn es um künftige Implementierung des Systems VAR geht. Immerhin kann bei Verhandlungen ab kommender Saison das Know-How aus der Bereitstellung in verschiedenen Wettbewerben angeführt werden, allen voran aus La Liga, einer der medienwirksamsten und stärksten Ligen weltweit. Zudem wird jedoch von Vorteil sein, dass der Name VAR als Marke für Verbände, aber auch Medienpartner besonders anziehend wirken könnte, weil er mit einer unausweichlichen und zukunftsorientierten Entwicklung im Fußball synonym gesetzt wird. Gelingt es Mediapro unter der neuen VAR-Marke eine erfolgreiche Bereitstellung des Systems zu gewährleisten, die dann auch noch medial, das heißt ebenfalls in zentralen Social Media-Kanälen, distribuiert und hervorgehoben wird, könnte sich das Unternehmen in den kommenden Jahren als zentraler Provider für VAR etablieren. Denn dass sich der Video Assistant Referee langfristig durchsetzt, sollte nach der WM deutlich geworden sein. Wenn es so kommt, werden sich auch namhafte Stakeholder Mediapros freuen.

 

Konzerne, die das Medienpotential des Fußballs erkennen

Mediapros Muttergesellschaft, Imagina, ist seit Kurzem zu 53,5 Prozent in den Händen der Orient Hontai Capital, einer chinesischen Gesellschaft für Privatkapital. Das Investmentunternehmen aus China hat ebenso das Potential der Sportübertragungen erkannt wie etwa die britische Werbeholding WPP, die 22,5 Prozent an Imagina hält. Denn Mediapro hat in Kooperation mit BeIN nicht nur die Rechte für La Liga erworben, sondern ebenso für die Champions League und für die Übertragung der Formel Eins in Lateinamerika, berichtet SportsPros Elena Holmes.

Überhaupt haben in den letzten Jahre vermehrt Big Player aus den USA oder aus China erkannt, dass in der Vermarktung von TV- und Digitalrechten im Fußball ein 

enormes Potential steckt. Nicht umsonst rüsten die Major League Soccer und die Chinese Super League immer mehr auf. Amazon hat inzwischen bereits ein kleines Rechtepaket für die Übertragung von Premier League-Spielen erworben, während Facebook sich mit der Übertragung der Champions League anfreundet.

Gleichzeitig investiert China auf verschiedensten Ebenen in den europäischen und internationalen Fußball. Natürlich ist es keine Neuigkeit, dass der Fußball gerade in Europa viel Medienwirkung erfährt, weil er in vielen Ländern Volkssport ist und dementsprechend hohe Zuschauerzahlen vorzuweisen hat. Doch die Megaunternehmen wie Amazon oder riesige Investmentfirmen aus China können traditionelle Anbieter finanziell im Wettbieten um Übertragungsrechte und Co. ausstechen. Daher ist die Befürchtung der Fans, dass sich dieser so traditionelle und emotional konnotierte Sport in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in seiner Kommerzialisierung und Technologisierung mehr abschafft als weiterentwickelt, durchaus berechtigt.

 

Innovative Entwicklungen im Fußball in allen Ehren …

Der Video Assistant Referee (VAR) hat gerade in der Bundesligasaison 2017/18 eher negative Kritik geerntet. Der 1. FC Köln hatte zum Beispiel zu Beginn der Spielzeit mit einigen dubiosen Entscheidungen zu kämpfen. Und mit Sicherheit sind noch eine ganze Menge an Entscheidungen aus Sicht der Meisten nicht korrekt gewesen. Doch mit dem Einsatz bei der WM in Russland hat der Videobeweis an Autorität gewonnen. Auch dort wurden sicherlich nicht alle Szenen richtig bewertet. Boatengs Einsteigen gegen Berg im Spiel Deutschland gegen Schweden hätte ebenso einen Elfmeter verlangt wie Kompanys Aktion gegen Gabriel Jesus im Spiel Belgien gegen Brasilien. Aber letzten Endes geben die Videoschiedsrichter nur eine Empfehlung ab und der Schiedsrichter auf dem Platz entscheidet. Und manches Mal, das erklärte Pierluigi Collina, der Chef des Schiedsrichterkomitees der FIFA, mag sich ein Schiri nicht in seine Entscheidung reinreden lassen; was den Einsatz des VAR erschwert. Dennoch gibt es hervorragende Positivbeispiele, wie dieser VAR funktionieren kann. Björn Kuipers entschied beim Spiel Costa Ricas gegen Brasilien nach einem vermeintlichen Foul an Neymar auf Strafstoß. Dann kam das Signal des VAR – und Kuipers sah sich die Szene auf dem Monitor nochmals an. Um zu entscheiden, dass es sich eindeutig um eine Schwalbe handelte.

Aber wie und wie gut funktioniert VAR tatsächlich? Die Bundesliga hat dazu extra ein kleines Video erstellt, dass den Einsatz dort erläutert.

Hier lässt das System VAR dem Schiedsrichter die Möglichkeiten bei Toren (beim Aspekt Abseits etwa), roten oder gelben Karten und Elfmetern Entscheidungen zu revidieren. Dabei kann er sowohl seine erste Entscheidung beibehalten, auf die Weisung der Videoschiedsrichter hören und seine Entscheidung entsprechend ändern oder sich den Vorfall am Screen im Stadion nochmal ansehen und daraufhin seine Entscheidung fällen.

Bei der WM hat VAR nun fantastische Werte erzielt. Laut FIFA waren in der Vorrunde 99,3 der veränderten Entscheidungen korrekt. Dieser Wert darf mit Vorsicht genossen werden, da die Korrektheit einer Entscheidung in seiner Objektivität natürlich von der FIFA selbst bewertet wird. Collina bemerkte allerdings ganz richtig:

„During a competition, it’s not possible that everything goes 100 per cent perfectly.“

Von den 24 Elfmetern der Vorrunde wurden jedoch sieben dank VAR gegeben. Insgesamt gab es 17 VAR Reviews, bei denen 14 mal die Entscheidung geändert und dreimal die Entscheidung beibehalten wurde. Im Videokontrollraum wurden während der Vorrunde sogar 335 Vorfälle geprüft, was 6,9 pro Spiel entspricht. Die Pressekonferenz der FIFA zum Einsatz des VAR in der Vorrunde kann hier nachvollzogen werden:

 

Die Zahlen zeigen, dass, selbst wenn man die Effektivität etwas zurückschraubt, der Videoschiedsrichter die Diskussionen über brenzlige Szenen in der Tat minimieren kann. Dazu muss das ganze System selbstverständlich optimiert werden, was nur durch ständigen Einsatz und die Akzeptanz der Schiedsrichter auf dem Platz gewährleistet werden kann. So ließe sich auch für die Fans Transparenz bei der Entscheidungsfindung auf dem Platz herstellen. Da VAR nun bei der WM präsent war und ab der kommenden Saison in vielen Ligen ebenso vertreten sein wird, ist es sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis überall Videoschiedsrichter eingesetzt werden – und sich das System zwangsläufig verbessert. Das kommt dann den Technologieanbietern wie Mediapro zugute, den Schiedsrichtern ohnehin. Die Fans und Spieler hingegen werden sich noch daran gewöhnen müssen. Denn unfehlbar ist das VAR-Konzept nie. Das zeigte die Elfmeterentscheidung von Néstor Pitana im WM-Finale. Aber immerhin lässt sich so weiterhin gut über Schiedsrichterentscheidungen diskutieren; und die Emotion lebt.

 

… aber wo führt es hin?

Letztlich dürfte mit VAR eine technologische Hilfestellung den Fußball ereilt haben, die einigen Unternehmen wie Mediapro auch monetär Vorteile bietet. Dass damit langfristig die Zahl der Fehlentscheidungen minimiert wird, sollte nicht im Zweifel stehen. Diesen Fortschritt kann gerade Mediapro mit seiner neuen VAR-Marke nun vermarkten. Hier entwickelt sich wieder ein ganz neues Marketingpotential. Vielleicht werden in Zukunft auch Werbepartner eingespannt; denn für beinahe jeden Zentimeter im Stadion und jedes Inventar bei der Übertragung finden sich Werbelösungen. Und die weiterführende Monetarisierung eines solchen Systems, das ja sogar eine kurze Spielunterbrechung liefert, ist nur eine logische Folge, weil sie extrem lukrativ sein kann. Schließlich sind VAR Reviews absolute Highlights im Spiel und damit besonders medienwirksam. Demnach sollten sowohl Medienunternehmen als auch potentielle Werbepartner sowie die einzelnen Verbände über diese Möglichkeiten nachdenken, da sie die wirtschaftliche Verschmelzung von innovativem Sport und dessen finanziellen Ertragsoptionen widerspiegeln.

Für die Fans genauso wie für die Spieler dürfte VAR aber den Fußball stark ändern. Die Unterbrechungen führen mitunter zum Verlust des Momentums. Manchmal wird einem Team eine emotionale Achterbahnfahrt aufgebürdet, wenn der vermeintliche wichtige Treffer nun doch zurückgenommen wird. Insgesamt wird bemängelt, dass ein Jubel nur unter Vorbehalt ausgeführt wird. Man wird sich daran gewöhnen (müssen). Was der Fußball also an Marketingpotential und Entscheidungsoptimierung – die ja auch deshalb so wichtig ist, weil es in jedem Spiel um immer größeren Summen geht, gerade wenn die Champions League-Qualifikation oder ähnliches auf dem Spiel steht – dazu gewinnt, verliert er doch an Spontaneität und ja, auch Charakter in Bezug auf jahrzentealte Grundregeln. „Abseits ist, wenn der Schiedsrichter pfeift“ und dergleichen sind nicht mehr zeitgemäß. Der Videoschiedsrichter und neuerdings die Marke VAR werden dem Fußball sicher viele richtige Entscheidungen ermöglichen. Und die Anpassung an technologischen Fortschritt ist im digitalen Zeitalter wohl unabdingbar. Dennoch muss der populäre Sport etwas kritischer werden, wenn es darum geht, sich nicht vollends an Unternehmen, Partner und Sponsoren sowie Dienstleister zu verkaufen, die hinter diesen Innovationen und den Rechten an der Ausstrahlung der Spiele stecken und somit einige Regeln bei der Rahmung des Fußballs mitdiktieren werden. Schon jetzt läuft der Fußball Gefahr, sich aufgrund der irrwitzigen finanziellen Dimensionen bei jedweden Deals von den Fans zu entfernen. Das lässt sich sogar auf den ersten Blick erkennen. Daher wäre eine der wichtigsten Innovationen für den internationalen Fußball des 21. Jahrhunderts eine Hinwendung zu seinen Wurzeln. Auch hierfür lassen sich digitale Technologien und Ideen instrumentalisieren. Aber manchmal ist weniger mehr. Sonst verliert selbst der Ausspruch „Entscheidend is’ aufm Platz“ an Bedeutung.

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