Analyse statt Clickbait – StatsBomb und Co. zeigen wie es geht

Im Profifußball dieser Tage spielt die Taktik eine wichtige Rolle. Trotzdem werden dem Zuschauer nur sehr oberflächliche Einblicke in diese gegeben.

Die Berichterstattung ist im Fußballgeschäft häufig nicht weit entfernt von der in den großen Boulevardblättern. “Transfer-Hammer! Paukenschlag! Brutalo-Foul!” Derartige Überschriften liest man beinahe täglich. Aus jeder Kleinigkeit wird eine Schlagzeile. Wenn es an einem Tag mal weniger zu Berichten gibt, dann sind sich wenigstens zwei Bayern Spieler im Training angegangen. Meistens sind diese Berichte zwar völlig irrelevant für das sportliche Geschehen auf dem Platz, aber der Konsument muss ja rund um die Uhr unterhalten werden.

Viele Schlagzeilen, wenig Inhalt

Das zeigt sich nicht nur in schriftlicher Form, sondern auf gewissen Fernsehsendern auch in den täglichen Sendeformaten. Wer 24 Stunden am Tag über Fußball berichten will, muss sich etwas aus den Fingern saugen. Das führt in der Praxis zu unzähligen Expertengesprächen, die häufig nicht über oberflächliche Taktikanalysen hinausgehen und eher darauf abzielen, möglichst steile Thesen der Experten zu provozieren, denn daraus lassen sich wieder Schlagzeilen machen. So produziert der Sportjournalismus teilweise seine eigenen Headlines und verliert dabei aus den Augen, worum es wirklich geht: den Fußball.

Während sich die Sportart selber immer weiter professionalisiert, machen auch die berichtenden Medien eine Entwicklung durch, die bei manchen schneller von statten geht als bei anderen. Taktikbesprechungen und Gegneranalyse sind wichtiger Bestandteil der täglichen Trainingsarbeit. Gerade die Kommentatoren von Live-Spielen versuchen diese Themen in ihre Arbeit mit einfließen zu lassen, indem sie von Pressingverhalten, Formationsänderungen und Ähnlichem sprechen. Das hilft dem normalen Fußballfan meistens einen kleinen Teil des großen Komplexes zu verstehen, ohne ihn zu überfordern, doch geht es selten über ein Zahlenkombination zwischen 4-4-2 und 5-3-2 hinaus.

Mehr und bessere Experten

Seit neuestem sind auch Experten in der deutschen Kommentatorenlandschaft angekommen. Ehemalige Fußballprofis gesellen sich immer häufiger neben dem Kommentator ans Mikrofon und geben ihre Expertise zum besten. Das ist schon mal ein wichtiger Schritt nach vorne, denn die meisten dieser Experten bringen dem Zuschauer sehr Interessante Einblicke und fundiertes Wissen nahe. In der Vor- und Nachberichterstattung hingegen, wenn eigentlich genug Zeit wäre, fällt die taktische Analyse zumeist sehr rudimentär aus. Es wird über Ballbesitz, Torschussstatistiken und wahrscheinlich am meisten über Schriedsrichterentscheidungen gesprochen.

Wirklich in die Tiefe gehen diese Gespräche meistens nicht. Vielleicht, um den Zuschauer nicht zu überfordern oder zu langweilen. Doch wird man ihm damit wirklich gerecht? Eurosport hat in den letzten Jahren eindrucksvoll dargestellt, wie eine Taktikanalyse im Fernsehen auch aussehen kann. Jan Henkel hat mit Matthias Sammer zusammen ganz genau hingeschaut. Die Halbzeitanalyse passte nur höchst selten in die 15 Minuten Pause. Sammer und Henkel hatten immer so viel zu besprechen, dass nicht alles unter einen Hut kam. Einerseits war das schade, weil die Gespräche sehr interessant waren und andererseits zeigt es, wie anders diese Analyse war.

Nach der Halbzeit hatte man wirklich das Gefühl, etwas gelernt zu haben und man schaute mit einer anderen Sichtweise auf die Partie. Henkel und Sammer trauten dem Zuschauer eine gesteigertes Fußballverständnis zu und zeigten deutlich, dass Taktikanalysen alles andere als langweilig sind.

Ein weiteres positives Beispiel, ist der neue ARD-Experte Thomas Broich. Der Ex-Profi, der lange Zeit seiner Karriere in Australien verbrachte, schafft es schnell und eloquent fußballerische Sachverhalte darzustellen. Die Analysen sind zwar noch nicht Sammeresk, aber gerade die Fähigkeit als Live-Kommentator das Spielgeschehen direkt taktisch einzuordnen, ist ein Gewinn für Live-Übertragungen der ARD. DAZN war in Deutschland ein Vorreiter dieser Entwicklung und hat ebenfalls mehrere Experten mit einem enormen Fachwissen unter Vertrag, die sehr gekonnt am Mikrofon agieren.

Nischige Artikel zeigen Potenzial auf

Einige Internetseiten sind natürlich schon mindestens zehn Schritte voraus, was das Thema Taktikanalysen angeht. Auf Deutsch zum Beispiel spielverlagerung.de oder im Englischen statsbomb.com. Auf diesen Seiten finden sich Artikel zu einzelnen Mannschaften oder Spielen, die mehr Inhalt bieten als die Berichterstattung deutscher Fernsehsender in einem ganzen Monat. Verfasst werden diese Artikel von Redakteuren, die teilweise aufgrund ihrer Arbeit von Fußballmannschaften als Taktikanalysten angestellt werden.

Bei den Artikeln handelt es sich logischerweise nicht um “Quick-Reads”. Mit unzähligen Statistiken und Datenvisualisierungen gespickt, gestalten sich die Texte als sehr anspruchsvoll und lassen sich nicht mal eben kurz lesen. Es erfordert Konzentration, den Inhalt wirklich zu verstehen, aber es lohnt sich, denn man kann jede Menge über Fußball lernen. Gerade StatsBomb arbeitet, wie es der Name vermuten lässt, sehr viel mit Statistiken.

Dabei handelt es sich nicht, um die üblichen Verdächtigen wie Ballbesitz oder Torschüsse. Von viel größerer Bedeutung sind Statistiken rund um die expected Goals (xG). Auch bezüglich des Pressingverhaltens und der Umschaltbewegung und vielem mehr gibt es aussagekräftige Zahlen. Auf diese Weise schaffen es die Autoren, die in ihren Texten getroffenen Aussagen, mit harten Fakten zu belegen. Die sehr anschaulichen Visualisierungen helfen dabei, auch mit den Begriffen nicht bewanderten Personen, die beschriebene Sachverhalte nahezubringen.

Beispielsweise stellte StatsBomb vor kurzem in einem Artikel dar, wieso der FC Chelsea momentan nicht mehr so gute Ergebnisse erzielt, wie zu Beginn der Saison. Ganz vereinfacht gesagt, lag die Lösung des Rätsels in der Tatsache, dass der Verein zu Beginn der Saison überperformt hat und momentan unterperformt. Über- und Unterperformen bedeutet in diesem Zusammenhang, dass eine Mannschaft mehr oder weniger Tore schießt, als laut der Statistik zu erwarten wäre. Dabei ist die Statistik zwar nicht unfehlbar und entwickelt sich stetig weiter, aber wenn Tottenham gegen Manchester City einen xG-Wert von 0,5 und City einen Wert von 2,3 hat und Tottenham mit 2-0 gewinnt, ist davon auszugehen, dass die Londoner eine Menge Glück hatten. Tottenham hat also in diesem Spiel deutlich überperformt. Chelsea fehlt momentan dieses Glück, was ein Grund dafür ist, dass der Verein unterperformt. (Zum Artikel)

Spielverlagerung und StatsBomb arbeiten auch zusammen und unterstützen sich gegenseitig. So veröffentlichen Redakteure von Spielverlagerung Artikel auf StatsBomb und die Datenvisualisierungen von StatsBomb sind auf der deutschen Seite zu finden. Für den interessierten Fußallzuschauer eröffnet sich durch derartige Seiten eine völlig neue Welt.

Taktikanalyse statt On-Field-BlaBla

In Zukunft wird es wichtig sein, dass Anbieter von Fußballübertragungen dieses Potenzial erkennen. Denn wir konsumieren heutzutage mehr Fußball denn je. Trotzdem sind die Berichterstattungen auf einem teilweise peinlich niedrigen Niveau. In der Welt von Taktik und Statistik gibt es unendlich viele interessante Themen, die Tag für Tag besprochen werden könnten. Stattdessen streitet die deutsche Medienlandschaft tagelang darüber, ob die Rote Karte für Pléa berechtig war.

Wenn die Verantwortlichen der deutschen Rechteinhaber einen erweiterten Horizont beweisen, stehen ungeahnte Möglichkeiten offen. Wichtig ist bei alle dem nur, dass man dem Zuschauer zutraut, komplexe taktische Analysen zu verstehen. Niemand möchte heutzutage das immer gleiche Onfield-Interview mit einem genervten Spieler sehen. Denn nach dem Spiel gibt es so viel mehr zu besprechen!

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