Das gesellige Zusammensitzen gehört für den Fußball-Fan fast zur Tradition. Ob samstags um 15.30 zur Bundesliga, im Pub während der Premier-League-Partien oder abends um neun in der Kneipe, um die Champions League zu sehen. Doch Traditionen im Fußball unterliegen einem Wandel; vor allem dank ganz neuer digitaler Möglichkeiten.
Während der Second Screen für die meisten bereits zum Seherlebnis gehört – und mancher Sport-Fan gar nicht mehr die 90 Minuten ohne Unterbrechungen ansieht –, haben diverse Streaming-Angebote über OTT-Plattformen oder Social Media etabliert. Bei einigen sind künftig digitale Zusammenkünfte möglich, die es Fans erlauben, über ihre jeweiligen Screens vernetzt ein Spiel zusammen zu schauen. La Liga testet es ab 2020 in Kooperation mit Scenic – und könnte zum Vorreiter einer ganz neuen Fußball-Erfahrung werden.
Sceenics Software für den digitalen Fußball-Treff
Der spanische Fußballverband hat für die erste und zweite Liga eine Testperiode ausgerufen, in der User über bei der OTT-Streaming-Lösung des Verbands, LaLigaSportsTV, dank der Software von Sceenic digital Spiele gemeinsam schauen können. Von der Kooperation berichtete unter anderem Sportspro Media. Konkret heißt das, dass die Nutzer Spiele ansehen und in Echtzeit darauf reagieren können; und zwar nicht allein über eine Chat-Funktion oder per Tweet – wie es viele ohnehin beim Fußball-Gucken parallel auf ihrem Smartphone tun dürften –, sondern in einem Skype-ähnlichen Austausch über den Screen.
Das britische Software-Unternehmen Sceenic stellt die entsprechende Infrastruktur dafür bereit. So können beispielsweise Freundesgruppen eine Gruppe bei Sceenic bilden, mit der sie, auch an verschiedenen Orten, ein Spiel gemeinsam verfolgen können. Auf dem Bildschirm kann ein einzelner User dann das Spiel sehen, während in kleineren Split Screens die Freunde zu sehen sind. Auf diese Weise kann unmittelbar miteinander gefeiert werden, wenn das favorisierte Team trifft oder gewinnt.
Nutzer haben die Option, ihre Freunde aus der Watch-Gruppe per Push-Nachricht zum digitalen Fußball-Gucken einzuladen.
Sceenics COO Jonathan Williams erklärt:
Working with La Liga is taking Sceenic to a whole new level. As the potential reaches a global scale, we are talking about billions of potential users for our technology. This certainly is a big challenge for us as a company, as we will be enabling people all over the world to come together around their biggest passions.
Mit Sceenic und Co. an Daten kommen und sich einem neuen Nutzungsverhalten anpassen
Die nach eigenen Angaben DSGVO-konforme Lösung von Sceenic hat für Organisationen wie La Liga diverse Vorteile. Zum einen können Fans, die lieber zuhause oder digital Fußball konsumieren, trotzdem das gemeinsame Fan-Erlebnis wahrnehmen und bleiben sportlich-sozial aktiv. Zum anderen liefert Sceenic ausführliche Insights zu den Watch-Gruppen: Wie viele Gruppen schauen ein Spiel, wie viele Personen sind vor einem Bildschirm und wie viel Zeit wird in diesen Räumen vor dem Screen verbracht. Derlei Angaben sind für potentielle Werbe-Deals und das entsprechende Targeting durchaus wertvoll.
Für Broadcaster, Verbände und Co. sind Optionen wie das Watch-Together-Feature von Sceenic aber auch wichtig, um veränderten Nutzungsbedingungen zu entsprechen. Immerhin hat die digitale Interaktion für viele Sport-Fans heute einen immens hohen Stellenwert. Jamie Hindhaugh, COO von BT Sport, einem Kunden von Sceenic, meint etwa:
Sceenic reflects what BT Sport is all about – which is bringing our audiences into our content, driving engagement and being a broadcaster that speaks with our fans.
Der direkte Kontakt unter den Fans ist womöglich nur ein erster Schritt. Denkbar wäre schließlich auch, dass in solchen Watch-Gruppen Experten oder andere populäre Personen zugeschaltet werden, um eine unmittelbare Interaktion mit den Fans zu ermöglichen. So können mit derlei Lösungen womöglich sogar ganz neue Zielgruppen für das digital-soziale Fußball-Gucken begeistert werden.
Eleven Sports hat daher beispielsweise eine ähnliche Partnerschaft mit Reactoo geschlossen.
Und dort wurden die ehemaligen belgischen Spieler Filip Daems und Karel Geraerts Watch-Gruppen zugeschaltet, die in Belgien das Spiel der Bayern gegen den BVB verfolgt hatten, berichtet Digital Sport.
Wird der gemeinsame Fußball-Abend also zur digitalen Veranstaltung?
Die Lösungen von Sceenic und Reactoo sind noch nicht allzu weit verbreitet, versprechen aber eine neue Form des Fußball-Erlebnisses. Wie viele Fans tatsächlich darauf zurückgreifen werden, bleibt vorerst Spekulation und Schätzung. Allerdings sind digitale Lösungen, die das gemeinsame Verfolgen von Events ermöglichen, schon länger populär bei den digitalaffinen Nutzern. So zum Beispiel Facebooks Feature der Watch Party, bei dem diverse Nutzer zusammen eine Show oder ähnliches Anschauen könne, während sie via Chat, Sticker usw. im direkten Reaktionsaustausch bleiben.
Und etwa die Champions League, für die Facebook in Lateinamerika und den USA Streaming-Rechte besitzt, soll auch über Watch Parties für Nutzer erlebbar gemacht werden. So heißt es im Blogpost:
To start, we’ll test this globally in Facebook Groups during live sports events like UEFA Champions League soccer matches, giving sports fans the chance to cheer, debate and commiserate on Facebook while watching their favorite match-ups.
Im Modern Fan Report von 2019 hatte das Sport-Entertainment-Unternehmen Copa90 angegeben, dass sich 50 Prozent der “modernen” Fans mehr Immersion beim Fußball-Gucken wünschen, 33 Prozent mehr Interaktivität und 17 Prozent mehr Geselligkeit. Mit Sceenic, Reactoo, Facebook und Co. dürfte das im Digitalraum möglich sein. Daher sollten diverse Organisationen darüber nachdenken, ob solche Optionen nicht sinnvoll sind, um noch mehr Menschen digital abzuholen und von der Experience der eigenen Liga etc. zu überzeugen.
Schließlich werden immer mehr Fans auf OTT-Plattformen oder Streams zurückgreifen müssen, denn traditionelle Anbieter verlieren immer mehr Rechte (siehe Sky und die Champions League). Dass die Watch-Gruppen im Digitalraum aber den Fußball-Abend in der Kneipe oder zuhause bei Freunden komplett ablösen, liegt, wenn überhaupt, dann noch weit in der Ferne. Dafür sind viele Fußball-Fans dann doch zu traditionell. Allerdings gilt es für die Unternehmen im modernen Fußball-Business, neue Fans zu binden und die jungen Zielgruppen, Digital Natives, zeitgemäß an das gesellige Fußball-Erlebnis heranzuführen. Und so könnte es schon in wenigen Jahren heißen: Stadion, Kneipe oder Watch Group.