Marvels Helden begeistern seit Jahrzehnten ihre Fans. Besonders in den letzten Jahren ist um Figuren wie Deadpool, Iron Man, Black Panther, Jessica Jones, Thor und Co. ein regelrechter Hype entstanden. Allein 2017 hat Marvel, das im Besitz von Walt Disney ist, neun neue Filme und Serien in die Kinos oder zu Netflix gebracht.
Das Potential, das das Marvel-Universum auch marketingtechnisch aufweist, versuchen immer mehr Partner des Verlagsunternehmens für sich auszuschöpfen. Dazu zählt nun auch Melbourne Stadiums Limited, die Gesellschaft, die dafür sorgt, dass Australiens Nationalstadion – bislang noch Etihad Stadium genannt – ab September zum Marvel Stadium wird. Die erhoffte Verschmelzung der Marke Marvel mit Live Sportevents kann ein Fingerzeig für künftiges Fußball-Erleben sein; und offenbart dabei gleichzeitig ein großes Problem für den Sport.
Marvel soll die Fans locken
In einer Zeit, da sich Sportstadien mehr und mehr in Event-Arenen verwandeln, braucht es für gewisse Besuchergruppen klare Anreize, die ihr Erlebnis im Stadion optimieren könnten. Oder sie überhaupt erst dazu bewegen. In Australien findet sich eine ganz besonders aufsehenerregende Maßnahme. Australiens Nationalstadion wird in Marvel Stadium umbenannt. Die Melbourne Stadiums Limited (MSL) hofft, damit einen hybriden Fan-Magneten bereitzustellen. Denn mit Marvel wurde eine Marke mit ins Boot geholt, die weltweit Furore – und Geld – macht und die mediale Aufmerksamkeit geradezu anzieht.
„Marvel utilizes its character franchises in entertainment, licensing and publishing“,
heißt es auf der Website des Verlags. Wie diese Charaktere die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen lassen und dabei kräftig die Werbetrommel rühren, zeigt die Marketingkampagne für den zuletzt erschienenen Film Deadpool 2. Hier hat die Filmproduktionsgesellschaft 20th Century Fox wieder einmal kreatives Werbepotential bewiesen. Auch Fußballfans werden hier mit angesprochen. Ein Clip bei YouTube zeigt Deadpools Entschuldigung bei David Beckham; und spielt zugleich auf die anstehende WM an.
Schon knapp 21 Millionen mal wurde dieses Video angesehen. Auf ein ähnlich reges Interesse sowohl an Marvel als auch an den Sportevents vor Ort hofft nun die MSL, die für Australiens Nationalstadion verantwortlich zeichnet. Hier werden natürlich Konzerte veranstaltet, doch grundsätzlich ist es eine Austragungsstätte für Sportevents, von Fußball und Rugby bis hin zu Basketball.Gleich fünf Clubs der AFL, der Rugby-Liga Australiens, nennen das Stadion ihr Zuhause. Aus der australischen A-League, der höchsten Fußballspielklasse, trägt Melbourne Victory seine Heimspiele in der Arena mit dem ursprünglichen Namen Docklands Stadium aus.
Das Etihad Stadium in Melbourne; bald heißt es Marvel Stadium, © Etihad Stadium Australia
Dieser Name wird ab ersten September 2018 anders lauten: Marvel Stadium. MSL CEO Michael Green erklärte in der Pressemitteilung auf der Website des Etihad Stadium, man schaue einer neuen Ära der Unterhaltung entgegen. Mit Marvel als einer der bekanntesten Unterhaltungsmarken der Welt könne man ganz neue Fanerlebnisse kreieren. Senior Vice President und Managing Director der Walt Disney Company in Australien und Neuseeland, Kylie Watson-Wheeler, betonte im Zuge dessen:
„Marvel is known for epic storytelling with heart, action, humour and relatability. MSL’s Docklands Stadium has told its own compelling stories over time, via a vast array of sport and entertainment. It’s why this partnership is such a great fit“.
Demnach setzt man in Australien die Fanerlebnisse von Filmfans mit jenen der Fußball- oder Rugbyfans gleich. Doch diese Annahme führt zu einem für den Sport gefährlichen Trugschluss.
Die Erwartungshaltung wird zum Problem
Wer sich im Kino von den Avengers oder Spiderman in den Bann ziehen lässt, geht an diese Erfahrung mit einer bestimmten Erwartungshaltung heran. Es wird ein Blockbuster erwartet, der auf minutiöser Planung, Effekthascherei und mal mehr mal weniger guter Schauspielkunst basiert. Diese Merkmale auch auf Sportereignisse in der Live Erfahrung zu übertragen stellt jedoch einen Vergleich dar, der hinkt.
Denn während die Avengers und Co. fiktionale Charaktere sind, denen dank ihrer Schöpfer immerzu Wunderdinge gelingen, sind Fußballer das mitnichten. Im Spiel können ungeahnte Dinge geschehen; und doch gibt es nie eine Garantie für einen Blockbuster. Ein 0:0 ist immer mal drin. Das ist den Fans durchaus klar. Aber wenn junge Sportbegeisterte in ein Stadion, für das Marvel der Namensgeber ist und das dessen Figuren darstellt, gehen, könnten sie sich an die Erwartung gewöhnen, dass ihnen hier hollywoodesques Entertainment zusteht.
Vice President of @Disney Australia Kylie Watson-Wheeler (right) and @EtihadStadiumAU CEO Michael Green in front of a Marvel mural inside the stadium. pic.twitter.com/k3zlfKFWh7
— AFL (@AFL) May 24, 2018
Angesichts des Marvel Stores, der bald im Stadion seine Türen öffnet, mag es bis zu einem gewissen Grad auch dazu kommen, dass solche Erwartungen erfüllt werden. Allerdings eher unabhängig vom Sport. Denn von den Fußballern erwarten wir per se, dass sie gerade nicht auf Effekte und Schauspieleinlagen setzen, wir schätzen zwar Taktik und wollen doch keine vorhersagbaren Spiele sehen. Eine Unterhaltung wie Kino ist hier schlichtweg nicht möglich. Da werden Äpfel mit Birnen verglichen.
Dass die MSL mit diesem Clou im Marketingbereich viele neue Besucher zu locken hofft, ist durchaus nachvollziehbar und die Namensgebung allein macht das Stadion in Melbourne interessant. Wirtschaftlich macht all dies einen sinnvollen Eindruck. Letzten Endes läuft man mit solch einer engen Verwebung mit der Entertainmentindustrie doch Gefahr, dass der Fußball selbst an Bodenhaftung und in der Folge auch an Relevanz für die Zuschauer verliert.
Natürlich lassen sich die Namensrechte an einem Stadion ignorieren. In Hamburg geht man wie stets ins Volksparkstadion. Doch die Entwicklung im Fußball und explizit in den Stadien ist nicht so leicht auszublenden. Digitalisierung und Technologisierung überhaupt machen die Stadien künftig wohl unweigerlich zu Erlebnis-Arenen, die es mit der Zusammenkunft außerordentlicher Superhelden aufnehmen können sollen.
Der Verkauf des Wembley durch die britische FA zeigt genauso, dass traditionelle Verbindungen im Fußball ebenso wirtschaftlichen Gesichtspunkten weichen wie anderswo. Dass das überaus lukrativ ist, kann nicht bestritten werden. Wie sich der Sport und vor allem die Wahrnehmung des Fußballs aber dadurch entwickeln, bleibt fragwürdig – und zwar in jedweder Bedeutungsauslegung des Wortes.
Zu den Zahlungen für die acht Jahre währende Namensgebung durch Marvel gibt es vonseiten der MSL keine Angaben. Man darf aber versichert sein, dass beide Parteien von diesem Deal massiv profitieren. Nur die Sportler, die sind vielleicht am Ende weniger die gefeierten Helden als einige der Comic-Figuren, die von den Wänden des Stadions auf sie herabblicken.