Von Palermo bis Sunderland – Unterklassigkeit als Story

Geschichten sind ein großer Teil der Faszination Fußball. Man denke nur an Leicesters Märchenmeisterschaft, Griechenlands EM-Sieg, die Hand Gottes oder auch RB Leipzigs Wandlung. All das lässt sich wirksam in Mediengeschichten wandeln – und vermarkten.

Spätestens seit Sönke Wortmanns Deutschland. Ein Sommermärchen sind Fußballfilme oder -serien ein probates Mittel, um bei Millionen Fans eine emotionale Bindung zu einem Team oder Verein aufzubauen. Und ein einträgliches dazu. Immer mehr Angebote finden die Fußballfans bei Streamingdiensten wie Netflix, Amazon Prime Video oder DAZN. Doch neben den hautnahen Erlebnissen von All or Nothing: Manchester City oder Inside Borussia Dortmund geht es im Medienkontext zusehends auch um unbekanntere Geschichten. Denn Geschichten halten die Zuschauen vor ihren Geräten. Das beweist die Serie Sunderland ’Til I Die, das zeigt aber auch Anbieter Eleven Sports, der die Spiele der italienischen Viertligisten Foggia und Palermo für seine Kunden live streamt. Diese Vereine haben eine Geschichte und gerade die von Palermo als Phönix-Club soll verfolgt werden.

Das Dramatische verbirgt sich nicht nur in der Champions League

Das Champions League-Halbfinale der vergangenen Saison hatte es in sich, der Meisterschaftskampf in Deutschland war spannend wie lange nicht und jener in der Premier League atemberaubend. Diese Geschichten wird man noch lange erzählen, wie Origi das 4:0 gegen den FC Barcelona erzielt, wie der FC Liverpool aber mit 97 Punkten nur Zweiter wird oder wie der furiose BVB am Ende der Saison in München untergeht und die Meisterschaft an die Münchner Abonnenten verliert. Doch all das haben die Fußballfans auch gesehen. Der Kampf um die Rechte an den Top Ligen und Wettbewerben hält an, diese Rechte sind milliardenschwer.

Aber es gibt noch zahlreiche Geschichten, die so noch nicht für ein großes Publikum erzählt sind, die aber, weil sie durchaus dramatisch sind, an die Schaulust der Fans appelieren könnten. Denn nicht alle guten Geschichten im Fußball handeln von Erfolg. Fast schon tragisch ist beispielsweise die Saison 2001/2002 für Michael Ballack und Co. verlaufen. Mit Leverkusen wurde er Vizemeister, Vizepokalsieger und verlor dann auch noch das Champions League-Finale. Als wäre das nicht genug, musste er auch im Sommer nach einer WM, bei der er zu den besten Spielern gehörte, gelbgesperrt zusehen, wie man im Finale den Brasilianern unterlag. Das Schicksal der Vizetitel teilten Ramelow, Schneider, Butt oder Neuville.

Oder schauen wir auf RB Salzburg. Der österreichische Serienmeister scheiterte elf Mal in Folge in der Champions League-Qualifikation, oft nach Führungen, manchmal gegen die gleichen Gegner. In dieser Saison sind sie erstmals in der Königsklasse dabei, nachdem Österreichs Meister aufgrund der UEFA-Fünfjahreswertung nun direkt in der CL starten darf, sofern der Sieger sich über seine Liga qualifiziert hat.

Und auch solche Geschichten faszinieren die Fans auf die eine oder andere Weise. Das machen sich Medienmarken längst zunutze. Denn der Durst der Fans nach mehr Content will gestillt werden. Was ist das nicht für eine erstaunliche Geschichte, die an das Herz der Fans in Sunderland ’Til I Die rührt. Die Serie erzählt von einer alten, gebeutelten Stadt mit einer Passion für den Fußball und ihren Verein. vom Abstieg des stolzen und ehemals erfolgreichen Clubs, von der Hoffnung auf die Rückkehr in die Premier League. Ehrlich, nah am Geschehen und mit dem nötigen Pathos.

Natürlich haben Netflix und die Produzenten die Inszenierung gut gemeistert. Wer den sportlichen Verlauf bei den Black Cats nicht verfolgt hatte, wird vom Abstieg in die Drittklassigkeit noch überrascht worden sein; ein wahrlich besonderes Ende. Dennoch rangiert die Serie bei den Fans im populären Feld von Serien überhaupt.

Die Folgen überzeugen mit Charme, aber sie erzählen auch von Träumen, dem Fall großer Vereine und verzweifelter Gefolgschaft der Fans. Ähnlich agiert übrigens auch Amazon bei Take Us Home: Leeds United. Der einstige Top Club bezauberte Anfang der 2000er noch mit einem Run ins Halbfinale der Champions League, stieg aber nicht viel später ab und ist seither zweit- und drittklassig gewesen. Mit dem weltbekannten Trainer Marcelo Bielsa sollte der Aufstieg gelingen – und Amazon begleitete die vergangene Saison.

Doch auch hier gab es kein Happy End, in den Play Offs war Schluss für Leeds United. Anders als Borussia Dortmund, Manchester City oder vor vielen Jahren die deutsche Nationalmannschaft sind Leeds United und der AFC Sunderland außerhalb Englands keine überaus populären oder gar extrem bekannten Clubs. Ihre Geschichten aber lassen sich von Medienmarken instrumentalisieren, um die Leute vor ihre Bildschirme zu locken und damit ordentlich zu verdienen. Das hilft natürlich auch den Clubs, die so Zusatzeinnahmen generieren und zugleich an Markenbekanntheit gewinnen. Beides garantiert aber, wie die tragischen Enden zeigen, keinen sportlichen Erfolg.

Das Phönix-Phänomen: Fans wollen Clubs wiedererstarken sehen

Bei Sunderland und Leeds spielt für viele Fans sicher auch eine Rolle, dass der romantische Fußballgedanke, wie ein Club, einst groß und erfolgreich, sich Stück für Stück wieder ins Rampenlicht spielt, die Grundlage für einen Plot in einer Geschicht ist, die es sich zu verfolgen lohnt. Auch der BVB war vor nicht allzu langer Zeit vor dem finanziellen Ruin, nun ist er einer von Europas stärksten Clubs. Juventus Turin war nach dem Zwangsabstieg 2006 am Boden, heute ist der Rekordmeister Seriensieger und hat den größten Superstar des Fußballs in den eigenen Reihen; und übrigens auch eine eigene Netflix-Serie, allerdings mit etwa anderem Fokus. Die Geschichte des Helden, der gebrochen ist oder Pech erfährt, nur um stärker zurückzukehren, kommt uns immer wieder unter: The Dark Knight Rises, The Wolf of Wall Street usw. Die Menschen mögen Siege von Außenseitern – Griechenlands Sieg bei der EM 2004 wird genauso in Erinnerung bleiben wie die Meisterschaft von Abstiegskandidat Leicester City 2016. Dazu gibt es diverse Bücher mit Titeln wie Hail, Claudio!: The Man, the Manager, the Miracle, 5000‑1 The Leicester City Story: How We Beat The Odds to Become Premier League Champions oder Jamie Vardy’s Having a Party: Leicester City’s Miracle Season.

Und sie mögen es, wenn Vereine aus der Asche wieder auferstehen. Das klingt dramatisiert. Aber genau das ist für Medien ein gefundenes Fressen. Juve, Sunderland oder Leeds sind keine eigentlichen Phönix-Vereine. Aber SSD Palermo wird zu solch einem (auch die Glasgow Rangers hätten eine ähnliche Geschichte zu liefern). Der italienische Verein mit den kultigen rosfarbenen Trikots spielt seit 2019 in der Serie D, nachdem wegen Bilanzfälschungen und mehr Vergehen mehrere Zwangsabstiege verhängt wurden. Zuvor hieß der Club US Palermo, er wurde aber als ein sogenannter Phönix-Club neu aufgestellt, wie zuvor schon der FC Parma (der als AC Parma vor dem Bankrott große Titel gewann und große Spieler hervorbrachte).

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Das Interessante ist, dass die Geschichte des möglichen Wiedererstarkens des Clubs bei Eleven Sports live verfolgt werden kann. Denn laut SportsPro Media werden die Spiele des Clubs, und auch jene von Foggia Calcio, die ebenfalls neu gegründet in der Serie D starten, genauso wie Spiele der Serie C für 5,99 Euro pro Monat anzusehen sein.

Die Rechte für die Übertragung von Palermos Spielen waren auch für Sky Italia oder DAZN ein Thema. Denn der Verein hat eine Geschichte und als Phönix-Club kann diese über die ganze Saison, vielleicht sogar darüber hinaus, erzählt werden. Natürlich werden nicht plötzlich Massen von Fußballfans die Spiele von Palermo und Foggia sehen, doch in Italien sind sicher viele Fußballenthusiasten am Schicksal der Clubs interessiert und werden eventuell einmal einschalten. Wenn die Geschichte gut verkauft wird, wollen Fans auch Teil davon sein. Potential für Geschichten, die sich in Form von neuen Serien bei Streamingdiensten vermarkten lassen oder über die Rechte und die Ausstrahlung der Spiele vermittelt werden, ist überall vorhanden. Man denke nur an die dramatischen Ereignisse in England, als der Traditionsclub FC Bury vor Kurzem aus der Football League in die Niederungen des Amateurfußballs verbannt wurde. Ein Schicksal, dass die Bolton Wanderers gerade noch abwenden konnten.

Die Geschichte hinter der Solidarität mit den Clubs, zum Teil auch vergeblicher Hoffnung, könnte ebenfalls eine Story sein, die eine dokumentarische Aufnahme bei einem großen Streamingdienst rechtgertigt. Es gibt Abermillionen Fußballfans und tausende tolle Geschichten. DAZN, Eleven Sports, Sky Sports, Netflix, Amazon und und und, sie bringen sie zusammen. Es heißt schließlich, der Fußball schreibt die besten Geschichten; manchmal braucht es dafür 90 Minuten, manchmal Jahrzehnte, manchmal nur einen Augenblick.

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