Babak Rafati pfeift zwar seit 2012 keine Profifußballspiele mehr, aber sein Name ist trotzdem noch immer einer der bekanntesten unter den deutschen Schiedsrichtern. Für großes Aufsehen in der deutschen Fußballlandschaft sorgte sein Suizidversuch im Jahr 2011. Seine damalige, durch die Tätigkeit als Schiedsrichter ausgelöste, Depression hat der heute 49 jährige zum Glück überstanden. Nun arbeitet er als Mentalcoach und berät Menschen darin, wie sie es schaffen, mit Druck am Arbeitsplatz anders umzugehen, als er es getan hat.
Im Kicker meets DAZN Podcast berichtet Rafati erfrischend offen und ehrlich über sich selbst, seine Vergangenheit und das aktuelle Schiedsrichterwesen. Im Gespräch mit Alexander Schlüter und Benni Zander stellt der ehemalige Referee deutlich klar, was noch heute bei den deutschen Schiedsrichtern alles falsch läuft.
Also dieses ganze System, diese ganzen Strukturen sind immer noch so verfangen, dass wir leider immer noch vieles falsch machen. Da gibt es wahnsinniges Steigerungspotenzial, wenn diese ganzen Menschen mal ihre Eitelkeiten in die Schublade packen würden und wirklich mal für den deutschen Fußball was tun.
Babak Rafati
Jeder macht Fehler
Ein großes Problem ist seiner Meinung nach die fehlende Transparenz der Schiedsrichter. Er meint die Schiris wären deutlich besser beraten, ihre Fehler offen und ehrlich einzugestehen und die Verantwortung dafür zu übernehmen. Denn auch die Unparteiischen sind nur Menschen und machen Fehler. Doch der DFB geht hier laut Rafati einen falschen Weg. Es werden zwar immer wieder einzelne Entscheidungen als falsch herausgestellt, aber insgesamt viel zu wenige. Gesteht ein Schiedsrichter einen Fehler ein und stellt die Gründe für den Fehler dar, kann ihm niemand mehr ernsthaft böse sein.
Da müssen wir glaub ich viel offener sein, im Umgang mit diesen Fehlern an die Öffentlichkeit. Wir Schiedsrichter wir sind immer wie so ne Sekte. Wir schließen uns zurück und wollen bloß nichts nach außen geben. Ich nehme mich da mit ein. Aber ich finde, wenn du einen Fehler klar und deutlich ansprichst und das sieht sogar Tante Erna aufm Sofa, dass das ein Foulspiel war. Wenn man erklärt, warum man zu dem Fehler kommt. Dann wird jeder Trainer, jeder Manager, jeder Fan sagen: “Okay war ein Fehler, aber er gibt es immerhin zu.” Ich glaube der Fehler an sich ist nicht das Problem bei uns, sondern der Umgang damit.
Babak Rafati
Neben der selbstauferlegten Unfehlbarkeit der Schiedsrichter bemängelt Rafati das häufig fehlende Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Spielern. Er selbst hat früher stets versucht, möglichst böse zu gucken, wenn er eine gelbe Karte verteilt hat, doch genau das ist für ihn der falsche Ansatz. Die Schiris müssen auf Augenhöhe mit den Spielern agieren und ihnen Verständnis entgegen bringen. Jeder Schiedsrichter weiß um die Situation der Spieler auf dem Platz und nicht jedes härtere Einsteigen geschieht mit böser Absicht. Die Spieler brechen zwar die Regeln, aber das gehört einfach zum Spiel dazu. Sonst bräuchte es gar keinen Schiedsrichter.
Linienrichter aus der Schusslinie
Als großen Gewinner des Videobeweises sieht Rafati die Linienrichter. Diese machen dank der neuen Technologie fast gar keine Fehler mehr. Vorher waren sie die Buhmänner unter den Schiedsrichtern. Sie sind das niedrigste Glied in der Schiedsrichterkette (4. Offizieller ausgenommen) und haben gleichzeitig die mit Abstand schwierigste Aufgabe. Das hat sich zum Glück geändert und die Linienrichter müssen nicht mehr nach jedem Spiel mit Schweißperlen auf der Stirn auf die Monitore schauen, um zu überprüfen, ob die eigenen Entscheidungen richtig waren.
Der Videobeweis ist ja an sich eine hervorragende Sache. Nur die Umsetzung ist katastrophal.
Babak Rafati
Dass der Videobeweis momentan trotzdem nicht rund läuft, sieht aber auch Rafati so. Das Problem liegt seiner Meinung nach in der Umsetzung und der Herangehensweise der Schiedsrichter. Über viele Jahre haben die Schiedsrichter gelernt, dass sie der Chef auf dem Platz sind. Doch heute mit dem Videobeweise ist da plötzlich ein Konkurrent. Diesen Zusätzlichen Assistenten als Hilfestellung anzusehen, anstatt als Konkurrenten, müssen die Schiedsrichter erstmal verinnerlichen.
Handspiel-Irrsinn
Ein weiteres großes Problem ist die Handspielregel. Laut Rafati liegt das darin begründet, dass die Menschen, die diese Regeln festlegen, selber keine Fußballer sind. Ihre Regeln sind weit von der Realität entfernt und durch die ständigen Regeländerungen hat jeder Schiedsrichter seine eigene Definition von Handspiel. Die einzige positive Entwicklung in dieser Angelegenheit ist die neue Regel, dass jegliche Handberührung vor einem Torerfolg regelwidrig ist. Diese Regel erleichtert laut Rafati den Schiedsrichtern die Arbeit, da es zu eindeutigen Entscheidungen führt.
Diese Handspielregel ist echt ein großes Problem. […] Wenn ich sehe was da für Sachen passieren auf dem Platz, dann ist es ja noch unverständlicher geworden. […] Da fehlt den Schiedsrichtern der Mut aus dem Bauch heraus zu entscheiden und auch Mal eigene Parameter festzulegen. […] Da schaue ich, ist das Absicht ja oder nein? Diese ganzen Dinge mit Arm viertel vor neun über der Schulter und dem ganzen Mist. In einem Bruchteil von Sekunden kannst du gar nicht so weit denken und auch gar nicht so schnell sehen.
Neben diesen aktuellen Schiedsrichterthemen spricht Rafati im Podcast über seine bewegte Vergangenheit. Er geht dabei sehr selbstreflektiert mit sich und seiner Geschichte um und beschreibt, wie es in einem “kranken” Kopf aussehen kann. Es ist ein beeindruckendes Gespräch, in dem Babak Rafati viele interessante Denkanstöße bietet und der Außenwelt einen Einblick in das sonst so verschlossene System der Schiedsrichter gibt.