Journalistischen Auftrag verfehlt – Die gefährliche Einseitigkeit der Mainstreammedien

Vollumfängliche Berichterstattung ist für den Journalismus essenziell. Doch am Wochenende versäumten es einige Medien, journalistische Grundlagen zu wahren.

“Sowas gehört nicht ins Stadion! Es sollte wieder um Fußball gehen! Das sind keine echten Fans!” Diese und ähnliche Aussagen fielen nach den Fan-Protesten am Wochenende zuhauf. Alle stimmten zunächst auf den Hassgesang gegen die Ultras ein. Angeführt von Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge wurde deutlich gemacht, was man von der Aktion der Fans hält. Dass die Verantwortlichen des FC Bayern in dieser Sache klar Stellung beziehen, ist wenig verwunderlich. Wesentlich komplizierter ist die Lage für die berichtenden Medien. Oder sollte sie zumindest sein.

Der Journalismus – die vierte Gewalt – beansprucht für sich selbst immer wieder Objektivität und das ist auch gut, denn Journalismus hat Macht. Auch im Fußball, wie die Football Leaks von 2018 zeigen. Am Samstag und Sonntag war diese Objektivität zumindest in den Mainstreammedien nicht ausreichend vorhanden. Fast alle solidarisierten sich mit Dietmar Hopp und verurteilten die Fan-Proteste aufs Schärfste. Sie wurden sogar teilweise auf eine Stufe mit Rassismusvorfällen gehoben. Von objektiver, differenzierter, vollumfänglicher Berichterstattung fehlte jede Spur.

Doch zunächst die Frage: Was ist mit Mainstreammedien gemeint? Das sind die Sportberichterstatter, die in Deutschland aufgrund ihrer Zuschauerzahlen die breite Masse erreichen, also ARD, ZDF, Sky, Sport1 und DAZN. Es gibt sicherlich noch mehr, aber diese Anstalten haben noch am Wochenende direkt Bezug auf die Ereignisse genommen. DAZN sei von der Kritik explizit ausgenommen, da der Sender von einer ausführlichen Berichterstattung zu dem Thema absah, um eben keine zu kurz gegriffenen Urteile zu fällen. Die anderen Sender räumten den Vorfällen viel Zeit ein, boten ihm seine verdiente Bühne, aber machten haarsträubende Fehler in der Aufarbeitung.

Was ist passiert?

Nun zum Vorfall: Beim Spiel Hoffenheim gegen Bayern erhoben die bayrischen Fans mehrere Transparente, in denen Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp als “Hurensohn” beleidigt wurde. Daraufhin wurde das Spiel mehrmals unterbrochen und die beiden Mannschaften entschieden sich dazu, die letzten knapp 15 Minuten des Spiels gemeinsam auf dem Feld zu verbringen, aber kein Fußball mehr zu spielen. Soweit so nachvollziehbar. Doch sind die Plakate der Ultras viel mehr als nur eine stumpfe Beleidigung gegen den Geldgeber der Hoffenheimer. Sie sind Systemkritik und Solidarisierung zugleich.

In den vergangenen Jahren protestierten die Dortmunder Fans immer wieder gegen das Modell der TSG Hoffenheim und beleidigten Dietmar Hopp persönlich. Das führte dazu, dass der DFB ihnen eine Bewährungsstrafe aufbrummte. Die Fans verstießen jedoch auch gegen die Bewährungsauflagen, weshalb der DFB sie bis einschließlich 2022 von Auswärtsspielen ihrer Mannschaft in Hoffenheim ausschloss.

Diese Bestrafung schlug hohe Wellen in der deutschen Fanlandschaft, weil der ehemalige DFB-Präsident Reinhard Grindel im Jahr 2017 noch versichert hatte, dass es keine Kollektivstrafen mehr geben würde. Aus rechtlicher Sicht sind Kollektivstrafen sowieso verfassungswidrig, da die Bestrafung einer Gruppe für die Vergehen einzelner gegen die Menschenwürde verstößt. Der DFB brach also nicht nur sein Wort, sondern wendete außerdem sehr zweifelhafte rechtliche Praxen an.

Diese Tatsachen und natürlich die Ausnahmeregelung von 50+1, von der Dietmar Hopp profitiert, waren Auslöser der Proteste. Man könnte jetzt anführen, dass die Protestgründe durchaus angemessen sind, aber die Wortwahl “Hurensohn” den Rahmen sprengt. Doch auch diese konkrete Wortwahl hat ihren Grund. Die Dortmunder Fans verwendeten nämlich genau dieses Wort in ihren Protesten, für die sie vom DFB verurteilt wurden und die Bayern (und andere Fanlager) nahmen mit ihren Plakaten direkten Bezug darauf. Weshalb der Tatbestand der Beleidigung faktisch gar nicht vorliegt. Es handelt sich viel mehr um eine Meinungsäußerung. (Siehe Urteil Beleidigung Renate Künast)

Trotzdem haben die Ultras natürlich übertrieben. Es gäbe sicherlich geschicktere Arten, seinem Anliegen Gehör zu verschaffen und vor allem die Fadenkreuzbilder von Dietmar Hopp entbehren jeglicher Legitimation und sind aufs Schärfste zu verurteilen.

Die Berichterstattung

Nun aber zum großen Problem in dieser Thematik: der Berichterstattung. Keiner der angesprochenen Sender hielt es für nötig, die Beweggründe der Fans genauer zu beleuchten. Die Ultras wurden als “Idioten” betitelt und es war ständig die Rede von “den sogenannten Fans”. Von allen Seiten wurde an den Zuschauer appelliert, diesen Leuten doch nicht das Stadion zu überlassen. Man hatte das Gefühl, wir hätten am Samstagnachmittag eine extreme Diskriminierung erfahren. Das war aber überhaupt nicht der Fall. Eine Einzelperson des öffentlichen Lebens wurde beleidigt (aus strafrechtlicher Sicht evtl. nicht mal das).

Fritz Keller, der neue DFB Präsident, war am Samstagabend im Sportstudio zu Gast und führte die “Hetze” fort. Nicht nur gab er die Meinung Preis, dass es in Deutschland noch nicht so lange Rassismus gebe. Er ließ ebenfalls jegliches Fingerspitzengefühl mit der Problematik vermissen. Die Anliegen der Fans waren überhaupt kein Thema und eine Antwort darauf, warum es denn jetzt doch Kollektivstrafen gibt, blieb er ebenfalls schuldig. In diesem Zusammenhang sei auch die Rolle Kathrin Müller-Hohensteins nicht unerwähnt, denn kritisches Hinterfragen sieht definitiv anders aus.

Das Problem der ganzen Geschichte ist, dass diese ersten Eindrücke in den Köpfen der Menschen hängen bleiben. Der Otto-Normal-Fußballzuschauer, der am Wochenende die Sportschau, Das Aktuelle Sportstudio, Sky90 oder den Doppelpass verfolgt hat, denkt jetzt, dass die “bösen” Ultras nur Dietmar Hopp beleidigen wollten. Die Hintergründe sind ihnen überhaupt nicht klar und eine angemessene Einordnung der Ereignisse deshalb unmöglich. Das führt zu gravierenden Schwierigkeiten für die Ultraszene, weil ihr Ansehen nachhaltig geschädigt werden könnte.

Kurioser Weise sind ausgerechnet die Mainstreammedien mitschuld an der Grenzüberschreitung der Ultras. Denn normalerweise finden Spruchbänder und Proteste der Fans wenig Platz in der Berichterstattung, weshalb sich die Szene zu diesem Schritt gezwungen sah. Die Ultras haben nun mal keinen Vorsitzenden, der nach jedem Spiel vor die Mikrofone treten darf, und deshalb fehlt ihnen das Sprachrohr, wenn die Medien ihre Anliegen nicht ausreichend an die Öffentlichkeit tragen.

Ein Hoffnungsschimmer

Positiv ist, dass in Zeiten der Digitalisierung keine einseitige Darstellung lange Bestand hat. Über andere Berichterstatter, hauptsächlich in Schriftform und im Internet, wurde ein wesentlich ausführlicheres Bild der Vorfälle gezeichnet und auch die Mainstreammedien haben das schnell erkannt. Am Dienstagabend nach dem DFB-Pokal-Spiel zwischen Schalke und Bayern strahlte die ARD eine Sondersendung zu dem Thema aus. In dieser Sendung wurde deutlich differenzierter über die Proteste berichtet und auch Moderatorin Jessy Wellmer saß nicht nur nickend daneben.

Zum Schluss sei noch einmal deutlich gesagt, dass die Fan-Proteste vom Wochenende in keinster Weise mit Rassismusvorfällen der Vergangenheit gleichzusetzen sind. Es handelt sich um fundamental unterschiedliche Ereignisse. Trotzdem muss der DFB sich in Zukunft am harten Durchgreifen des vergangen Spieltages messen lassen, was ein wenig Hoffnung auf besseren Umgang mit Rassismus macht.

Außerdem einige Empfehlungen von Berichterstattungen, die von Anfang an die Prinzipien des Journalismus beachteten:

Rocket Beans TV: https://www.youtube.com/watch?v=omuG204K3Ck&feature=emb_title

Onefootball: https://www.youtube.com/watch?v=FPcz4uj-7dc

Zeit Online: https://www.zeit.de/sport/2020-03/hoffenheim-fc-bayern-dietmar-hopp-beleidigungen/komplettansicht

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