Von Indien bis Stockholm – Fans für die Ewigkeit?

Das Modewort Digitalisierung hat tatsächlich auch in seiner Frequenz eine Daseinsberechtigung. Sie ist überall. Doch neben all ihren Vorzügen und den hochspannenden und hilfreichen Entwicklungen sorgt sie genauso für eine Ungewissheit. Wie stark wirkt sie sich auf den Arbeitsmarkt aus? Kann die Vermittlung von Werten in einer gänzlich digitalisierten Welt verlustfrei vonstatten gehen? Oder: verliert der Fußball seine traditionsbewussten und loyalen Fans? Digitale Potentiale bedeuten einerseits die Chance zur Internationalisierung, die unbedingt genutzt werden muss, wenn man als Verein, als Liga, ja als Marke langfristig überleben möchte. Andererseits sind aber auch die User viel freier in ihren Entscheidungen, wie sie ihr Fußballerleben gestalten möchten; und vor allem: auf welchen Kanälen und bezogen auf welche Liga? Deshalb gilt es für Clubs und Verbände gleichsam schon heute mit Hochdruck daran zu arbeiten, neue Fans ausfindig zu machen und langfristig zu halten sowie die etablierten Supporter für lange Zeit an das eigene Produkt zu binden. Hier braucht es ein Gleichgewicht von digital und vor Ort engagierten Fans, damit das Bild des traditionellen Vereins in einer modernen Gesellschaft aufrechterhalten bleibt. Die Expansion nach Indien – und China – oder das Angebot von Stadionkarten auf Lebenszeit sind mutige und innovative Schritte.

Von zwei Herangehensweisen in verschiedener Größenordnung: Die DFL und AIK Solna

Die digitale Transformation ermöglicht ungeahnte Markteintritte, fordert jedoch auch Tribute. Grundsätzlich geben sich Vereine, hinter denen längst Marken, ja Unternehmen stehen, nicht nur mit dem Bewahren des Status quo zufrieden. Das wäre sowohl auf dem Platz als auch abseits davon fatal. Aus diesem Grund lotet man stets neue Geschäftsfelder aus oder sucht Wege, um den schon bestehenden Einkommensstrom auf Dauer zu sichern.

Die DFL geht dabei neue Wege. Mit China, dem einwohnerstärksten Land der Welt und einem auf technologischem Level starken Markt, kooperiert gerade der deutsche Fußball bereits seit einiger Zeit. Während sich die Chinese Super League dank hochbezahlter Stars inzwischen auch international einen Namen gemacht hat, werden Fans trotzdem großes Interesse an den etablierten Top-Ligen Europas haben. Die Premier League, die Ligue 1, die Serie A, LaLiga und die Bundesliga sind die Vorreiter. Allerdings muss die Bundesliga sich eingestehen, dass gegenüber dieser Konkurrenz nur wenige internationale Top Stars in Deutschland spielen, mithin das Awareness-Potential ein Stück weit geringer ist. Deshalb setzt man bei der DFL auf tiefgreifende Kooperationen, die das Interesse am deutschen Profifußball mehrdimensional und langfristig aufbauen sollen. Und das zahlt sich aus. Laut der renommierten Red Card-Studie aus China ist die Bundesliga in den digitalen Medien im Land am stärksten vertreten und sticht, Stand Februar, sogar die global so populäre Premier League aus.

Es ist eine große Ehre für die Bundesliga, mit unserem digitalen Angebot zum vierten Mal in Folge in China als die einflussreichste Fußballliga ausgezeichnet zu werden,

meinte der CEO der Bundesliga International GmbH, Robert Klein, zu der Zeit. Wird der chinesische Markt schon erobert, greift die DFL nun auch in Indien an, hinter China das zweitbevölkerungsreichste Land überhaupt und ebenso ein großer Player in digitalen Fragen. Gerade hat die DFL eine Partnerschaft mit IMG Reliance bekanntgegeben, die nicht nur die Bundesliga in Indien promoten, sondern ebenso zur Entwicklung des indischen Fußballs selbst beitragen soll.

Demnach sollen Jugendfußballsysteme und -strategien nach Indien exportiert werden, Besuche von deutschen Legenden und Stars sind genauso geplant wie Spiele deutscher Clubs in Indien. Außerdem wird IMG Reliance einzigartige Match Screenings und Fans Parks promoten, die der indischen Bevölkerung die Chance geben die Bundesliga in großem Stil zu verfolgen; noch liegt sie im Popularitätsranking im Land auf Platz zwei.

Zusätzlich profitieren sollen Bundesligavereine sowie die indische Tech-Industrie von einer verstärkten Zusammenarbeit außerhalb des Platzes.

The DFL will also work towards extending Indo-German cooperation in the field of football by creating platforms and opportunities for Bundesliga clubs to explore technical and commercial partnerships in India,

heißt es im Statement. Diese Zusammenarbeit wird langfristig sehr wertvoll sein, insbesondere, da technologische Entwicklungen schon jetzt als Grundlage für künftig erfolgreiche Vereine und Verbände integriert werden wollen. Robert Klein kommentiert entsprechend:

We are extremely excited to be part of the growth story of Indian football and look forward to entering into further strategic partnerships in India. Not only are we intent on offering fans in India the opportunity to experience the Bundesliga in myriad ways, we are also extremely keen to create more opportunities for Indian footballers to excel on the international stage.

Vielleicht kann die Bundesliga so zur beliebtesten Liga in Indien aufsteigen. Zumindest aber können Clubs hier neue Fans und neue Partner, im Bestfall sogar technologische Pioniere, gewinnen; und somit eine wichtige Ausgangssituation schaffen, um das Einkommen und die internationale Relevanz – die zwangsläufig miteinander verknüpft sind und in digitalen Zeiten umso mehr – zu sichern.

AIK Solna bietet Karten für die Ewigkeit

Bei all der Unsicherheit im Hinblick auf die Entwicklung des so simplen und traditionellen Sports Fußball bleibt den Vereinen meist noch eine Sicherheit. Ein Fan bleibt im Normalfall lebenslang Fan desselben Vereins. Für viele ist es anders gar nicht vorstellbar. Auch wenn heute schon der Trend zu beobachten ist, dass weniger gegenüber Vereinen als eher gegenüber medial präsenten Top Stars Loyalität entwickelt wird, verlassen sich Vereine auf ihre jahrelangen Begleiter. Und sie tun gut daran, gerade diese mit besonderer Wertschätzung zu behandeln.

Der frisch gebackene schwedische Meister und Traditionsclub AIK Solna hat sich nun eine ganz besondere Aktion für Fans ausgedacht. Die Supporter erhalten die Möglichkeit eine Art Dauerkarte zu erwerben; allerdings gilt diese bis zum Lebensende. Sie kostet genau 189.100 Kronen (etwas über 19.000 Euro) und spielt damit auf das Gründungsjahr 1891 an. Außerdem werden 40.000 Exemplare angeboten.

Das Angebot kann sich für Fans durchaus lohnen, wenn sie lange genug ins Stadion gehen. Es zelebriert laut Website das Willkommenheißen von Fans jedes Alters, jedes Backgrounds, jedes Berufs. Fredrik Söderberg, Ticket und Marketing Manager bei AIK, das in einem Stockholmer Vorort beheimatet ist, meint:

Es wird wahrscheinlich kein großer Verkaufsschlager sein, aber vielleicht erinnert die Karte daran, dass AIK immer für dich da ist.

Mit der Karte für die Ewigkeit bietet AIK seinen Fans also eine tolle Option, versucht sich aber gleichzeitig langfristiges Engagement vor Ort zu sichern, das in Zeiten vermehrter digitaler Möglichkeiten zur Rezeption des Fußballs extrem wichtig wird. Und natürlich wäre jedes verkaufte Ticket ein Garant für Ticketeinnahmen, die man andernfalls erst in der Zukunft hätte generieren können. Tatsächlich wachsen die durchschnittlichen Zuschauerzahlen in der Friends Arena in Stockholm seit Jahren, wie Transfermarkt.de zeigt. Dennoch ist man bei AIK noch weit entfernt von einer Auslastung der Arena mit ihren mehr als 54.000 Plätzen.

Besucherzahlen in der schwedischen Allsvenskan in der Saison 2018, © Transfermarkt.de

Die Friends Arena ist mit deutlichem Abstand das größte Fußballstadion in Schweden und AIK hat im Schnitt beinah genau so viele Zuschauer wie Hammarby IF, ebenfalls ein Stockholmer Club. Möglicherweise schlagen ja doch ein paar mehr Fans bei den Karten auf Lebenszeit zu und das Stadion erfährt mit der Meisterschaft im Rücken noch mehr Auslastung 2019, der Verein weitere sichere Einnahmen.

Ob eine Expansion nach Indien als groß angelegte systematische Maßnahme oder eine Lebensdauerkarte als gut gemeinter Versuch, um die Fans auf lange Sicht ins Stadion zu locken. Die Möglichkeiten und Herausforderungen der Digitalisierung und des Wandels im Fußball überhaupt animieren doch zu innovativen Marketing- und Business-Lösungen, die zwar ökonomisch motiviert, aber auch tolle Geschichten hervorzubringen imstande sind. Mit der Ausrichtung „Fußball, wie er sein sollte“ und den Fans für die Ewigkeit bleibt also im digitalen Zeitalter noch Platz für die Fußballromantiker.

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