Hertha BSC – Big City Club zumindest, was die mediale Aufmerksamkeit angeht

In den letzten Wochen sorgten die Hauptstädter für ungewöhnlich viele Schlagzeilen. Als nächstes muss die Hertha auch sportlich auf sich aufmerksam machen.

Die Winterpause ist immer eine Zeit, in der die Berichterstattung der Bundesliga händeringend nach spannenden Themen sucht. Diese Saison machte die Hertha es den Journalisten einfach – Trainingslager in den USA, auf den ersten Blick utopische Zielsetzungen und Transfergerüchte ohne Ende. Es ist viel los in der Hauptstadt und der erste Schritt zum von Investor Lars Windhorst angestrebten Image des “Big City Clubs” ist geschafft. Die Hertha ist in aller Munde. Nur ist die Berichterstattung momentan keineswegs frei von Kritik.

Preetz übt Zurückhaltung

Klinsmanns Äußerungen stoßen natürlich auf eine mediales Echo. Er spricht von Titelansprüchen in drei bis fünf Jahren. Das kann man als ambitioniert bezeichnen oder eben als unrealistisch. Einer, der in diesem Zusammenhang etwas zurückhaltendere Worte findet, ist Michael Preetz. Der langjährige Geschäftsführer hält zwar große Stücke auf Klinsmann als Trainer, doch weiß er auch die neue Situation einzuschätzen. Trotz der Finanzspritze ist das primäre Ziel, Abstand zu gewinnen von den Abstiegsplätzen.

Wir möchten erfolgreich sein mit Hertha BSC. Wir möchten gerne auf das internationale Parkett, aber es weiß jeder, dass das ein bisschen Zeit brauchen wird. Das geht nicht von heut auf morgen.

Michael Preetz im Interview mit Jörg Wontorra

Auch, wenn Preetz immer wieder betont, dass alle bei Hertha die gleichen Zielvorstellungen haben, sind seine Aussagen wesentlich näher an der Lebensrealität von Hertha BSC. Gleichzeitig ist aber deutlich zu erkennen, dass auch Klinsmann sich der momentanen Lage in der Liga bewusst ist. Der Verein spielt seit seiner Übernahme als Cheftrainer wesentlich defensiveren Fußball. Man ist darauf bedacht, keine Gegentore zu fangen und selber durch Konter erfolgreich zu sein. Das ist eine andere Herangehensweise, als noch zu Saisonbeginn beschlossen, aber der Situation durchaus angemessen. Wenn es so weitergeht, hat die Hertha in dieser Saison wahrscheinlich keine großen Abstiegssorgen mehr.

Viel Geld für neue Spieler

Um in Zukunft den selbst gesteckten Zielen näher zu kommen, wird momentan kräftig auf dem Transfermarkt investiert. In der Winterpause sicherte man sich unter anderem die Dienste von Lucas Tousart von Olympique Lyon und Krzysztof Piątek vom AC Mailand. Tousart ist ein Zukunftstransfer, da der 22-jährige Franzose erst im Sommer in die Hauptstadt kommen wird, um dann den scheidenden Marko Grujić zu ersetzen. Piątek soll direkt für mehr Torgefahr sorgen. Der Stürmerkollege von Robert Lewandowski in der polnischen Nationalmannschaft kommt mit einer guten Torstatistik aus der italienischen Serie A. Nur diese Saison blieb er bisher hinter den Erwartungen zurück und erzielte nur vier Tore in 18 Partien.

Auch dieser Transfer erntete Kritik in der deutschen Presselandschaft. Was die Hertha auch macht, es scheint in Deutschland nicht gut anzukommen. Einerseits ist diese Kritik aufgrund der schwächelnden Leistungen von Piątek durchaus nachvollziehbar, da 25 Mio. Euro auch für die neureichen Berliner kein Schnäppchen sind. Andererseits zeigt einer der Sommertransfers diese Saison, dass sich eine derartige Investition durchaus lohnen kann. Dodi Lukebakio, der im Sommer für 20 Mio. Euro aus Watford gekommen ist, konnte bisher fünf Tore und vier Vorlagen in der Bundesliga markieren. Keine herausragenden Werte, aber definitiv wichtig für die Hertha.

Ein Gegenbeispiel dazu ist der momentan von Borussia Dortmund ausgeliehene Marius Wolf. Für ihn läuft es gerade unter Klinsmann nicht mehr gut. Er verzeichnet nur noch wenige Startelfeinsätze und auch deshalb wenig Torbeteiligungen. Dass die Hertha die Kaufoption zieht, scheint, nicht nur aufgrund der Höhe von 20 Mio. Euro, unwahrscheinlich. Wolf ist einer der Spieler, der der harten Kursänderung unter Klinsmann zum Opfer gefallen ist. Neben ihm sahen sich plötzlich auch Stark, Kalou, Duda und Selke auf dem Abstellgleis. Zwei dieser vier Spieler suchten deshalb noch im Winter das Weite.

https://www.instagram.com/p/B7_JeOujCyM/

Klinsmann sortiert gnadenlos aus

Gerade für den Ersatz-Kapitän und frisch gebackenen Nationalspieler Niklas Stark kam die Degradierung sehr überraschend. Er hatte eigentlich vor, sich in dieser Saison für die Europameisterschaft zu empfehlen. Stattdessen hält er neuerdings die Berliner Bank warm. Das größte Problem dieser neuen Entwicklung ist, dass Klinsmann den Spielern eine Erklärung für ihre Aussortierung schuldig geblieben sein soll. Kalou spricht sogar von fehlendem Respekt.

Ich bin nicht erst fünf Tage oder Monate hier. Sondern fast sechs Jahre und habe immer meine Tore gemacht. Ich brauche deswegen keine Sonderbehandlung. Aber es geht mir um Respekt. Und der fehlt massiv.

Salomon Kalou

Deutliche Worte des Champions League Siegers von 2012. Wer in Klinsmanns Plänen für die Generalüberholung keine Rolle spielt, wird scheinbar ohne zu zögern abgeschoben. Eine durchaus fragwürdige Herangehensweise. Dass die Zielsetzungen und das dafür benötigte Spielermaterial sich mit steigenden finanziellen Mitteln verändern, ist legitim, doch der Umgang mit altgedienten Spielern lässt zu Wünschen übrig.

Ob Jürgen Klinsmann über den Sommer hinaus Trainer bleiben wird, steht noch nicht fest. Preetz klingt jedenfalls nicht abgeneigt, da er in der Strahlkraft des ehemaligen Nationaltrainers einen riesen Gewinn für seinen Verein sieht. In jedem Fall ist viel los in der Hauptstadt. Es wird spannend zu beobachten sein, ob Klinsmann tatsächlich einen offensiveren Ansatz wählt, wenn seine Mannschaft sich erstmal von den Abstiegsplätzen entfernt hat. Im Sommer geht die Einkaufstour der Berliner voraussichtlich weiter.

Mediales Interesse ist noch kein sportlicher Erfolg

Eines steht fest: Das mediale Interesse an den aktuellen Entwicklungen ist riesig. Und, obwohl es viel Kritik hagelt, mischt die Hertha zumindest auf diesem Gebiet schon jetzt in ganz anderen Sphären mit, als in den letzten Jahren. Wenn man es schafft, bei aller Umstrukturierung, die eigenen Fans und Spieler nicht völlig aus den Augen zu verlieren, könnte in Berlin ein sehr interessanter Verein entstehen. Doch auch dem Risiko des Scheiterns müssen sich die Hauptstädter bewusst sein. Nicht jede Investition in deutsche Fußballvereine ist derart erfolgreich verlaufen, wie die in Hoffenheim oder Leipzig. Leute wie Michael Preetz sind enorm wichtig, um in euphorischen Zeiten die Ruhe zu bewahren und weitsichtige Entscheidungen zu treffen. Ob die kürzlich getätigten Transfers sich als solche Erweisen, bleibt abzuwarten.

WordPress Cookie Plugin by Real Cookie Banner