Darts – der Kneipensport schlechthin – zwei verschwitzte, übergewichtige, unsportlich anmutende, zumeist englische Männer werfen nacheinander ihre Pfeile auf die Scheibe und werden dabei von einer betrunkenen Menge angefeuert. Wenn man nur mal eben bei der Darts WM 2020 reingezappt hat, dann wird man wahrscheinlich auch dieses Jahr etwa so ein Bild zu sehen bekommen haben. Doch die Darts WM 2020 war mehr. Die gesamte Sportart Darts ist mehr und einige andere Sportarten könnten noch etwas von ihr lernen.
Mehr Zuschauer, mehr Spieler, mehr Qualität, mehr Geld
In den letzten Jahren hat der Darts Sport eine enorme Wandlung durchgemacht. Gerade in Deutschland kommt Darts eine immer höhere Aufmerksamkeit zu. Das führt nicht nur dazu, dass es immer mehr Turniere außerhalb Englands gibt, sondern auch immer mehr Spieler überall auf der Welt. Man wirft nicht mal eben ein paar Pfeile auf die Scheibe und darf dann gleich an Turnieren teilnehmen. Die Konkurrenz wird immer größer und dadurch steigt logischerweise die Qualität.
Außerdem fließt durch mehr Ticketverkäufe und höhere Werbeeinnahmen immer mehr Geld in die Sportart. Das führt zu einer zunehmenden Professionalisierung, die noch lange nicht ihren Höhepunkt erreicht hat. Heute haben einzelne Darts Profis Mentalcoaches an ihrer Seite, die sie bei ihren Spielen unterstützen. Gerade im Mentalsport Darts ist es aber erschreckend, wie wenige Profis noch mit solchen Coaches arbeiten.
Mit der Professionalisierung nimmt auch der Anteil ausländischer Spieler zu. Es sind zwar immer noch mit Abstand am meisten Engländer unter den Top-Spielern zu finden, doch andere Nationen holen auf. Die Niederlande ist hier an erster Stelle zu nennen. Nicht nur die Nummer eins der Weltrangliste Michael van Gerwen, sondern auch noch einige weitere Stars kommen aus den Niederlanden. Aber auch Deutsche, Japaner und Belgier drängen nach und nach auf die große Bühne.
Women rule the world
Neben den neuen Nationalitäten gab es dieses Jahr bei der WM eine noch größere Veränderung. Denn mit Fallon Sherrock gelang es erstmals einer Frau ein Spiel bei der Darts WM zu gewinnen. Die 25-jährige Engländerin wurde zum Shootingstar des Turniers und schaffte es auch ihr zweites Spiel zu gewinnen. Dieser zweite Sieg war eine noch viel größere Überraschung, da es ihr gelang den Österreicher Mensur Suljovic zu bezwingen, der zu diesem Zeitpunkt in den Top-10 der Weltrangliste stand. In der dritten Runde war für Sherrock gegen Chris Dobey Schluss, aber die Darts-Welt hatte sie trotzdem erschüttert.
Während im Fußball die Übernahme eines Oberligisten durch eine Frau als Trainerin eine kleine Sensation darstellt, ist Darts in Bezug auf Gleichberechtigung Meilen weit voraus. Natürlich bietet die Sportart gänzlich andere Voraussetzungen und Männer und Frauen können sich glücklicherweise auf höchstem Niveau miteinander messen. Doch der Umgang der Spieler und Fans mit den Frauen auf der Bühne zeigte das große Potenzial dieser Sportart auf. Alle feierten miteinander ein Fest. Natürlich wollten die Männer auch gegen die Frauen unbedingt gewinnen, aber alle Beteiligten schienen froh darüber, dass ihre Sportart in dieser neuen Zeit angekommen ist.
Ein alter Hase holt den Titel
Trotz des Wandels, den die junge Sportart momentan durchmacht, ist es am Ende einem Mann gelungen den Titel zu gewinnen, der schon seit vielen Jahren zur Weltelite gehört – Peter Wright. Im Laufe des Turniers schieden immer mehr Favoriten aus und es stellte sich sowieso von Anfang an die Frage, wer Michael van Gerwen überhaupt bezwingen soll. Vor dem Turnier wurde Gerwyn Price für diese Aufgabe auserkoren. Der ehemalige Rugbyspieler hatte 2019 ein herausragendes Jahr gespielt und schaffte es sogar einmal, MvG zu besiegen. Doch zum erneuten Duell gegen den Niederländer kam es nicht, da Price bereits im Halbfinale an Wright scheiterte.
Peter “Snakebite” Wright hat eine lange, erfolglose Geschichte mit großen TV-Finals hinter sich. Ihm gelang es nur einmal ein TV-Turnier zu gewinnen und ausgerechnet bei diesem Turnier fehlte van Gerwen verletzt. Deshalb war MvG auch im diesjährigen WM-Finale der Favorit. Doch diese Darts WM hatte scheinbar noch nicht genug eindrucksvolle Geschichten geschrieben. Der wie immer extravagant gestylte Peter Wright dominierte das Spiel von Anfang bis Ende. Nicht einmal ein Satz, in dem MvG ihn klar mit 3-0 schlug, brachte den Schotten aus der Ruhe. Es schien als habe Wright nichts anderes im Kopf als den nächsten Pfeil in die Triple 20 zu werfen.
Mit stoischer Ruhe spielte er seinen Angstgegner immer weiter an die Wand und dieser wurde mehr und mehr wütend. Van Gerwen versuchte gute Würfe zu erzwingen, doch seine fast schon verzweifelten Versuche verfehlten immer wieder das Triple und – noch wichtiger – das Doppel . Mit dem Rücken zur Wand kam dann plötzlich noch einmal der wahre Michael van Gerwen zum Vorschein. Er spielte acht perfekte Darts und verfehlte das Doppel nur knapp, das ihm zum 9-Darter verholfen hätte. (Neun Darts sind die Mindestanzahl, um 501 Punkte abzuräumen und ein Leg zu gewinnen.)
Wright ließ auch das kalt und so erarbeitete er sich im übernächsten Leg drei Matchdarts. Die ersten beiden landeten denkbar knapp neben der Doppel 10 – der Dritte war drin. Ein Spiel auf hohem Niveau hatte einen absolut verdienten Sieger gefunden und Peter Wright vergoss Tränen der Freude. Michael van Gerwen indes ist Respekt dafür zu zollen, wie er sich im Moment der Niederlage verhalten hat. Er war ein sehr fairer Verlierer und beglückwünschte seinen Kontrahenten zum Sieg.
Fairplay ein ungeschriebenes Gesetz
Fairness auf der Bühne wurde zwar nicht von jedem Spieler bei dieser WM gleichermaßen gelebt, doch insgesamt sind die Profis sehr gut miteinander umgegangen. Häufig war zu sehen, wie der Sieger eines Spiels das Publikum aufforderte dem Verlierer zu applaudieren und innige Umarmungen waren keine Seltenheit. Dieser Sportsgeist wäre auch in anderen Sportarten schön anzuschauen. Sowohl im Moment des Triumphs, als auch der Niederlage sollten sportliche Kontrahenten respektiert und Leistungen gewürdigt werden.
Nicht zuletzt seien bei dieser Darts WM einmal mehr die herausragenden Fans positiv zu erwähnen. Die Stimmung im Ally Pally in London war wie jedes Jahr überragend und die Fans schaffen es perfekt den schmalen Grad zu wandern, sich selbst und eine große Party zu feiern und das Spiel auf der Bühne nicht aus den Augen zu verlieren. So hört man zwar des öfteren Jubelschreie und Buhrufe, die überhaupt nicht zum Spielgeschehen passen, weil im Publikum mal wieder ein Bier geext wurde, aber sobald wichtige Würfe auf er Bühne zu bestaunen sind, passen alle wieder auf.
Darts ist eine einzigartige Sportart und jeder, der der Meinung ist, es wäre langweilig, sollte sich einfach mal das Drittrundenspiel Adrian Lewis gegen Darren Webster anschauen. Diese Sportart bietet hochspannende Duelle auf Top-Niveau mit durchgehender Party im Hintergrund. So etwas findet man nur beim Darts.