Deutsche Talente im Ausland – bekommen junge Spieler keine Chance in der Bundesliga?

Immer mehr junge Deutsche spielen außerhalb der Bundesliga. Ist das nur eine Momentaufnahme oder wird es tatsächlich schwieriger für Talente in Deutschland?

Stefan Kuntz, Coach der Deutschen U21-Nationalmannscahft, bemängelte kürzlich, dass in seinem Kader kaum noch Spieler stehen, die in der Bundesliga aktiv sind. Genau genommen waren es zuletzt acht, von denen wiederum nur zwei auch zur Startelf in ihrem Verein gehörten. Ein anderes Bild zeichnete sich noch vor rund zwei Jahren, als die U21 ihren letzten großen Titel feierte.

Bei der U21-Europameisterschaft 2017, die Deutschland mit 1-0 im Finale gegen Spanien gewinnen konnte, waren noch 18 Bundesligaprofis im Kader. Dazu kommt, dass die diesjährige goldene Fritz-Walter-Medaille, sowohl in der U17 als auch in der U19, an Spieler verliehen wurde, die momentan im Ausland aktiv sind. Nicolas Kühn spielt momentan für die zweite Mannschaft von Ajax Amsterdam und Karim Adeyemi verdient sein Geld in Österreich beim FC Liefering, dem Farm-Klub von Red Bull Salzburg.

Nicolas Kühn bei Ajax Amsterdam

Die renommierte Auszeichnung für deutsche Nachwuchsfußballer wurde unter anderem von heutigen Nationalspielern wie Toni Kroos, Leon Goretzka oder Matthias Ginter gewonnen. Diese waren zum Zeitpunkt ihrer Auszeichnung aber alle bereits in der Bundesliga aktiv. Was hat sich in den letzten Jahren im Deutschen Nachwuchs geändert? Sind die Talente schwächer geworden oder bekommen sie einfach keine Chance mehr in der Bundesliga?

Zu viele Legionäre?

Steffen Baumgart, Trainer des Bundesligaschlusslichts SC Paderborn, hat zu diesem Thema eine klare Meinung. In einem Interview mit SPORTBUZZER berichtete er ausführlich darüber, was alles im deutschen Fußball falsch läuft. Unter anderem merkte er an, dass in der Bundesliga zu viele Legionäre auf dem Platz stehen. Dadurch ist laut Baumgart nahezu jeder deutsche Bundesligaspieler ein potenzieller Kandidat für Joachim Löw.

Mit dieser Einschätzung hat er insofern recht, dass die Anzahl der Legionäre in der Bundesliga seit der Jahrtausendwende tatsächlich deutlich gestiegen ist. Doch dieser Anstieg stagnierte vor ca. zehn Jahren. Seitdem variiert der Anteil, der eingesetzten Deutschen Spieler in der Bundesliga, immer zwischen 42 und 45 Prozent. Also spielten auch 2009 schon ähnlich viele Ausländer in der Bundesliga wie heute und doch bestand die U21-Nationalmannschaft, die den EM-Titel 2009 gewann, fast ausschließlich aus Bundesligaprofis.

Der logische Schritt

Gerade junge Spieler wagen heute also eher den Schritt ins Ausland, anstatt den harten Konkurrenzkampf in der Bundesliga anzunehmen. Jüngstes Beispiel dafür ist Timo Baumgartl. Der 23-jährige wechselte vor der Saison vom VfB Stuttgart zur PSV Eindhoven und das, obwohl er in der Vorsaison 18 Bundesligaeinsätze verzeichnen konnte. Bei den Niederländern gehört er zum absoluten Stammpersonal und hat sogar schon ein Tor in der Europa League erzielt. Spielpraxis auf diesem Niveau wäre für ihn in Deutschland wahrscheinlich nicht möglich gewesen.

Timo Baumgartl bei PSV Eindhoven

In Stuttgart hätte er mit der zweiten Liga vorlieb nehmen müssen. Als ernsthafte Alternativen in Deutschland wären wohl eher kleinere Vereine in Frage gekommen. Deshalb ist der Wechsel zum niederländischen Spitzenverein ein logischer Schritt. Er bekommt reichlich Einsatzzeit, spielt um Titel mit und dazu noch europäisch. Welcher Verein in Deutschland hätte Timo Baumgartl derartiges geboten?

Ein weiteres Beispiel für den erfolgreichen Weg ins Ausland ist der U21 Nationalspieler Orestis Kiomourtzoglou. Der Deutsch-Grieche wechselte vor der Saison vom Drittligisten Unterhaching zu Heracles Almelo. Er spielt also wie Baumgartl in den Niederlanden und das bisher durchaus erfolgreich. In elf von bisher 13 Spielen in der Liga stand er über 90 Minuten auf dem Platz und sein Team steht momentan auf Rang sieben in der Tabelle.

Die Eredivisie ist zwar ohne Frage deutlich schwächer als die Bundesliga, aber der Aufstieg von der dritten Liga zum Stammspieler in den Niederlanden ist trotzdem beachtlich. In der Bundesliga wäre es für den 21-jährigen wohl schwierig geworden, einen Stammplatz zu erhalten. Deshalb ist auch dieser Wechsel absolut nachvollziehbar, um die eigene Karriere voranzutreiben. Doch bedeutet diese Entwicklung, dass wir in Zukunft in der Bundesliga gar keine deutschen Talente mehr zu sehen bekommen?

Es geht auch andersherum

Lukas Nmecha vom VfL Wolfsburg zeigt, dass es auch anders aussehen könnte. Der gebürtige Hamburger durchlief zuletzt die Jugendmannschaften von Manchester City und wechselte im Sommer auf Leihbasis in die Autostadt. Sowohl in der Bundesliga als auch in der Europa League und im Pokal konnte Nmecha bereits einige Einsatzminuten verzeichnen und stand zuletzt gegen den BVB sogar in der Startelf.

Lukas Nmecha bei Manchester Citys U23

Es ist also durchaus möglich, als junger, deutscher Spieler seine Entwicklung in der Bundesliga voranzutreiben. Doch zeigt dieses Beispiel auch deutlich, was dafür nötig ist. Nmecha hat eine herausragende Ausbildung beim amtierenden englischen Meister genossen. Auf eine solche Schulung können nur die wenigsten Talente zurückgreifen. Liegt das Problem folglich doch wieder in den vorhandenen finanziellen Mitteln in Deutschland?

Die Bundesliga als Farm-Liga

Manchester City hat quasi unendlich viel Geld zur Verfügung. Dieses investieren sie nicht nur in die besten Fußballer der Welt, sondern auch in ihre Jugendarbeit. Das macht sich nun bemerkbar. In den letzten Jahren traten Talente wie Phil Foden oder Jadon Sancho aus der Talentschmiede der Citizens hervor. Die englischen Juniorennationalmannschaften beginnen auch langsam Titel zu gewinnen und die Top Talente von der Insel brauchen Spielpraxis, um sich auf die Premier League vorzubereiten.

Für diese Aufgabe ist die Bundesliga prädestiniert. Sie ist eine der fünf besten Ligen Europas und ihre Vereine spielen auch international um Titel mit. Doch der Liga stehen keine superreichen Investoren zur Verfügung, weshalb die meisten Vereine von Megatransfers absehen müssen und deshalb ihr Augenmerk eher auf Talente richten. Wenn der Durchbruch in der Bundesliga geglückt und die Spieler sich auf dem Niveau etabliert haben, kann der Schritt zurück auf die Insel gewagt werden, so wie es wahrscheinlich bald bei Jadon Sancho der Fall sein wird.

Wenn diese Entwicklung in Zukunft tatsächlich so eintritt, wird es für deutsche Talente immer schwieriger, einen Platz in der Bundesliga zu finden. Dann könnte der Weg über die Niederlande oder Österreich zur Regel werden. Schon heute zieht es einige vielversprechende Talente in die kleineren Nachbarländer, um dort auf sich aufmerksam zu machen. Wie erfolgreich sich dieser Umweg auf ihre Karriere auswirken wird, muss sich aber erst noch zeigen. Festzuhalten bleibt, dass die deutschen Talente höchstwahrscheinlich nicht an Qualität verloren haben, nur stellt der Weg ins Ausland heutzutage ein ernsthafte Alternative dar.

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