Als Armand Duplantis gegen 22 Uhr Ortszeit die 5,97 Meter überspringt, hätte eigentlich frenetischer Jubel aufbranden müssen. Der 19-jährige Schwede bringt alles mit, was ein angehender Leichathletikstar benötigt. Er liebt es mit dem Publikum zu spielen – seine Gesichtsausdrücke nach gelungenen Sprüngen zaubern allen Zuschauern ein Lächeln ins Gesicht. Doch an diesem Abend jubelt nur eine kleine Menge mitgereister schwedischer Fans und sein Trainerteam, bestehend aus Mama und Papa. Denn das Stadion in Doha ist einmal mehr (fast) leer.
Duplantis gewinnt am Ende Silber hinter dem US-Amerikaner Sam Kendricks und vor dem Polen Piotr Lisek. Und all das, was an diesem Abend an Sportbegeisterung von den Rängen fehlt, machen diese Drei durch ihren unnachahmlich Umgang miteinander wett. Stabhochsprung ist zwar eigentlich eine Individualsportart, aber die Springer haben den Gemeinschaftsgedanken des Sports wirklich verinnerlicht und der ärgste Konkurrent um den WM-Titel ist immer auch der erste Gratulant nach einem gelungen Sprung. Genau diese Bilder der fairen Sportsmänner lassen erahnen, was die Leichtathletik-WM für ein riesiges Begeisterungspotenzial haben könnte – fände sie nicht in Doha statt.
Keine Zuschauer, aber Hitze
Höchsttemperaturen von über 40 Grad und schwindelerregende Luftfeuchtigkeit sind gerade für Ausdauersportarten eine Katastrophe. Beim Marathon der Frauen kamen 28 von 68 Läuferinnen nicht einmal im Ziel an. Von den restlichen Frauen waren viele derart erschöpft, dass sie nach dem Rennen auf Rollstühle angewiesen waren. Hinzukommt, dass die Einwohner des kleinen Emirates kaum Begeisterung für die Leichtathletik zu haben scheinen. Das Fassungsvermögen des Khalifa International Stadium wurde zwar schon von 40 Tausend auf unter 20 Tausend reduziert, aber von vollen Rängen kann trotzdem keinesfalls die Rede sein.
So war das Stadion am Sonntag laut offiziellen Angaben nur zu unter 50% ausgelastet. Wie viel Zuschauer genau da waren, wurde nicht verraten, aber es machte den Anschein, als seien mehr Plätze frei gewesen als belegt. Hinzukommt, dass die meisten der wenigen “Fans” Gastarbeiter aus Äthiopien sind, die freien Eintritt zu den Veranstaltungen erhalten. Diese Notlösung der Verantwortlichen ist jedoch auch nicht ideal, denn die Äthiopier machen zwar bei den Laufwettbewerben auf Langstrecke ordentlich Stimmung, aber ansonsten fehlt ihnen die “Erfahrung” als Leichtathletikpublikum. So waren sie zum Beispiel vor Beginn der 100 Meter Sprints sehr laut und störten damit die Sportler in ihrer Konzentration.
Nun stellt sich natürlich mit Blick auf die nächste Fußball WM die Frage: Haben wir Ähnliches zu erwarten? Schon im Vorfeld macht das Turnier jede Menge Negativschlagzeilen. Die Arbeitsbedingungen beim Bau der Stadien, die Verlegung der WM in den Winter und nicht zuletzt die mehr als bedenkliche Menschenrechtslage. Außerdem warf schon die Vergabe der WM 2022 nach Katar einige Fragen auf und die allgegenwärtige Korruption war und ist einmal mehr Thema bei der FIFA.
Die Winter WM
Doch das Turnier wird in Katar stattfinden und es wird im Winter stattfinden. Genaugenommen vom 21. November bis zum 18. Dezember 2022. Durch diese erstmalige Verlegung einer Fußballweltmeisterschaft in den Winter wollen die Verantwortlichen das Problem der extremen Hitze umgehen. In Doha herrschen im Dezember vergleichsweise milde Temperaturen zwischen 15 und 25 Grad. Dadurch wird auch der immense Energieaufwand der Stadien etwas reduziert. Bei der Leichtathletik-WM wird nämlich innerhalb des Stadions versucht, die Temperaturen durch Klimaanlagen auf erträglichem Niveau zu halten.
Doch dann wäre da noch das Zuschauerproblem. Denn die katarische Bevölkerung ist in den Fußball auch nicht sonderlich mehr involviert als in die Leichtathletik. Die Hoffnung der Veranstalter: Der Publikumsmagnet Fußball schafft es, die Massen nach Katar zu treiben. Auf touristische Attraktionen, die dabei einen weiteren Anreiz bieten, kann sich das Land dabei nicht verlassen. Die Touristen müssen bereit sein, nur für den Fußball nach Katar zu reisen.
Nun sind die Tickets in der Vergangenheit bei internationalen Großveranstaltungen im Fußball immer sehr gefragt gewesen. Sowohl die EM als auch die WM haben meistens gar nicht genug Tickets zur Verfügung für den Zuschaueransturm. Ob auch 2022 wieder so ein enormes Interesse bestehen wird, muss sich erst noch zeigen. Aber das mit mehr Zuschauern als bei den Leichtathletik zu rechnen ist, gilt als sicher.
Fußball ist nicht gleich Leichtathletik
Die Leichtathletik-WM hat nämlich nicht zum ersten Mal Probleme mit leeren Rängen. Nachdem in den letzten Jahren in London, bei den Olympischen Spielen und der WM, die Begeisterung der Zuschauer unfassbar groß war, ist Doha ein Rückfall in vergessen geglaubte Zeiten. Bereits Ende der 90er und Anfang der 2000er waren die Stadien, in durchaus Leichtathletik begeisterten Ländern, ebenfalls leer geblieben. In Athen, Sevilla, Edmonton (Kanada) oder Zürich fiel es den Veranstaltern sehr schwer die Ränge zu füllen. Ein Zuschauerproblem besteht in der Leichtathletik also nicht nur in diesem Jahr und nicht nur in Katar.
Dennoch scheinen die Stimmung und die gesamte Aufmachung dieser WM sehr gezwungen. Auch zahlreiche Sportler haben sich schon über fehlende Unterstützung von der Tribüne beklagt. Die Unterstützung wird bei der Fußballweltmeisterschaft wahrscheinlich wesentlich höher sein, aber nichtsdestotrotz hat auch dieses Turnier das Potenzial, eher durch Schlagzeilen abseits des Platzes aufzufallen, denn durch sportliche Höhepunkte. Und doch ist es am Ende eine Fußballweltmeisterschaft und wir Fußballfans vergessen nur zu gerne das gesamte Drumherum, wenn der Ball erst einmal rollt.