Eine Frage des Geldes: Zerstört ein guter Deal noch jede Tradition im Fußball?

Der französische Coupe de la Ligue wird ausgesetzt, um den Terminplan der Clubs zu entschlacken – vor allem aber, weil es kein Interesse an den Rechten gibt. Außerdem könnte Pirelli von den Inter-Trikots verschwinden. Geld regiert die Fußballwelt und lässt nach und nach Traditionen schwinden.

Mal verliert man und mal gewinnen die anderen.

Das hat Trainerlegende Otto Rehagel schon vor langer Zeit und für alle Ewigkeit verlautbart. Aber auch abseits des Platzes lässt sich seit Jahren gewissermaßen ein Duell erkennen, das nicht von Clubrivalitäten oder einem Wettbewerb ausgeht. Traditionalisten gegen die Innovatoren, so könnte man es gutmütig nennen; zynischer ausgedrückt ist auch von einer Auseinandersetzung von Kommerzialisierung und Werten die Rede. Es wäre müßig, darüber zu diskutieren, was dem Fußball guttut. Innovationen wie der VAR könnten langfristig für mehr objektive Fairness im Spiel sorgen und zugleich Monetarisierungsspielräume eröffnen. Trotzdem bedeuten solche technischen Neuerungen eine Abkehr von jahrzehntelang erlebten und eingebrannten Mustern, beispielsweise bei der schieren Emotion, die bei einem späten Siegtreffer ausgelöst wird. Durch den VAR liegt sie nun immerzu im Schatten des Zweifels.

Und während der Sport mit immer abgehobeneren Summen hantiert, Spieler als Marke stilisiert und Vereine als Unternehmen mit zahllosen Partnern zu mehr Profit getrieben werden, moniert so mancher, dass die Tradition auf der Strecke bleibt. Nun ist der Wandel in vielen Lebensbereichen und Sportarten beständig und gerade im Zuge einer umfassenden Digitalisierung und Technisierung ist Erneuerung oft alternativlos. Trotzdem kann man vielen Fans nicht verdenken, dass sie den Eindruck gewinnen, der Fußball ist weniger auch ihr Spiel als eines, das dem Mammon mehr und mehr zugetan ist.

Der Coupe de la Ligue in Frankreich wird ausgesetzt

2019/20 ist vorerst die letzte Saison, in der der französische Ligapokal, der Coupe de la Ligue, ausgetragen wird. Seit den 1980ern wurde um die Trophäe gespielt. Nun hat der französische Ligaverband LFP beschlossen, dass der Wettbewerb ab kommendem Jahr ausgesetzt wird. Grund ist vor allem, dass der volle Spielplan in Frankreich etwas entzerrt werden soll.

Diese Entscheidung wird den Wettkampfplan vereinfachen, den Spielern mehr Erholungszeit geben und einen zusätzlichen Platz im Europapokal durch die Ligue-1-Tabellenplatzierung zum Ende der Saison 2020-2021 bieten,

heißt es im Communiqué. Schade ist das vor allem für die Fans von Vereinen wie Racing Strasbourg, das im vergangenen Finale gegen EA Guingamp mal wieder einen Titel gewinnen konnte; der letzte war 2005 ebenfalls der Gewinn des Coupe de la Ligue. Gerade in einem Land, das fußballerisch durch das finanziell aufgeplusterte und in diesen Belangen uneinholbare PSG beherrscht wird, sind solche Siege Balsam für die Fan-Seele; vielleicht nur nicht für PSG Fans.

Das mindestens temporäre Verschwinden des Wettbewerbs dürfte aber noch einen anderen Grund haben als die Regeneration der Spieler. Denn Medienberichten zufolge konnte der Verband keinen Abnehmer für die Rechte an der Ausstrahlung des Coupe für die Jahre 2020 bis 2024 finden. Entsprechend darf man auch die Aussage des LFP verstehen:

Abhängig von den Marktbedingungen behält sich das LFP das Recht vor, diesen Wettbewerb später neu zu starten.

Frankreichs Haupt-Pokalwettbewerb, der Coupe de France, bleibt den Fans erhalten. Man kann sich bei der Trennung vom Coupe de la Ligue jedoch des Eindrucks nicht erwehren, dass knallhart nach reiner Wirtschaftlichkeit entschieden wird. Normalerweise geht die Rechnung natürlich auf: was dem Fan gefällt, generiert Nachfrage, die sich monetarisieren lässt. Allerdings sind die Stadien für diese Spiele laut Transfermarkt.de in der vergangenen Saison im Schnitt nur zu 34 Prozent ausgelastet gewesen. So ist nachvollziehbar, dass das geringe umfassende Interesse keine Sender oder OTT Services lockt. Dennoch dürfte mancher Fan denken, dass genau solch eine Entscheidung, ob wirtschaftlich vernünftig oder nicht, die Weichen noch weiter gen Kommerzialisierung stellt, während der Sport und im wahrsten Sinne des Wortes der sportliche Wettbewerb weiter in den Hintergrund rücken. Erst 2018 hatte die LFP mit BKT, einem indischen Reifenhersteller einen Hauptsponsor für den Ligapokal bis 2024 gebunden; ob der Deal, der 3 Millionen Euro pro Jahr wert sein soll, ab nächster Saison gecancelt oder umgewandelt wird, ist noch unklar.

Inters Image-Partner Pirelli könnte abgelöst werden

Nich allzu weit entfernt von Paris und Frankreich, in Mailand, gibt es ebenfalls womöglich bald ein für Fußballfans kleine, aber wegweisende Änderung. Wie SportsPro Media berichtet, könnte die chinesische Real Estate Group Evergrande Pirelli als Inter Mailands Hauptsponsor beerben. Das ist zunächst nicht verwunderlich. Inters Eigener kommt aus China und Zhang Jindong möchte mehr Einnahmen mit einem Trikotsponsor generieren. Die Evergrande Group ist das wertvollste Immobilienunternehmen der Wel, laut Forbes Liste der weltgrößten Unternehmen (2.000) auf Platz 94, vor Airbus, Unilever, der Telekom, Coca-Cola, Barclays usw. Auch der Guangzhou Evergrande Taobao Football Club gehört der Gruppe.

2021 läuft der Vertrag mit Pirelli aus, der dem italienischen Tabellenführer derzeit kolportierte 10,5 Millionen Euro pro Jahr einbringt. Zum Vergleich: Juventus erhält von Jeep derzeit 20 Millionen pro Jahr, das könnten Berichten zufolge aber schon bald 50 werden. Also ist Inter stark darum bemüht, ebenfalls mehr Geld selbst einzunehmen, um auch wirtschaftlich weiter mit dem Top Team aus Italien zu konkurrieren. Der Haken für so manchen Fan: Pirelli ziert die Inter-Trikotbrust durchgängig seit 1995. Und diese Verbindung ist besonders. Immerhin kennen viele Fans das Inter-Trikot nur so, nur mit Pirelli. Das ist schon Tradition.

Inter mit Pirelli auf der Brust, schon in den 90ern, © Pirelli

Auch das aktuelle dritte Trikot der Mailänder wurde sogar durch den Reifenhersteller inspiriert.

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Pirelli is Inter, and vice versa: football fans have grown to mention them in a single breath – the name of the brand recalls the image of the team, and the other way round, for a mutual exchange of emotions. Their fusion is a very rare occurrence in the history of football clubs and their sponsors.

So heißt es bei Pirelli. Tatsächlich ist das Bekenntnis der Marken zueinander ganz und gar nicht gewöhnlich. Aber die Aussage ” The bond between Pirelli and Inter is unbreakable”, könnte bald revidiert werden. So werden Fußballfans auch in diesem Fall mit Wehmut erkennen, dass finanzielle Power auch ganz besondere Beziehungen und Traditionen in diesem manchmal so konservativen Sport beenden kann – und wird. Höher, schneller, weiter, das ist ein aktuelles Motto und gilt für den Fußball selbst auf dem Platz natürlich in besonderem Maße. Guardiola und Klopp, Conte und van Gaal, Lippi, Ferguson, del Bosque Hitzfeld und Co. revolutionieren und revolutionierten das Spiel. Der Anspruch an eine ständige Optimierung ist jedoch längst bei den Vereinsbossen, Marketern und Beratern angekommen und nimmt dem Fußball damit zumindest die Tradition, dass es ein Sport ist, bei dem jeder mitkommt. Denn dieses Bild könnte sich noch ändern.

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